Pina Bauschs neues „Stück“

oe
Wuppertal, 12/05/2004

Ist Pina Bauschs Tagebuch ihrer permanenten Weltreisen der tanztheatralische Gegenentwurf zu Richard Wagners „Ring des Nibelungen“? Werk um Werk ergänzen sich ihre „Stücke“ – fast immer titellos bei ihrer Premiere – und so auch diesmal bei ihrer neuesten Kreation im Elberfelder Schauspielhaus – zu einem Oeuvre von nicht mehr auf einen spezifischen Mythos bezogener, ausgesprochen globaler Kompetenz.

Diesmal also japanisch ambitioniert. Zurückgekehrt aus dem Land der aufgehenden Sonne, präsentiert sie ihr neuestes Dreistunden-„Stück“ japanisch timbriert. Dazu gehört zunächst einmal Peter Pabsts nachtschwarzer Bühnenraum mit seiner riesigen Walfischflosse, während sich im Hintergrund der nur teilweise sichtbare Leib eines abgetauchten weiteren Blauwals tummelt. Die Japaner: eine Nation, meerumflossen von Walfischjägern? Im zweiten Teil dann allerdings auch die Japaner als eine Nation im ewigen Kirschblütenregen. Dazu ertönt kurioserweise kein Gesang der Wale, doch auch kein Japan-Nippes à la „Madama Butterfly“ oder irgendwelche Mayuzumi-Avantgardismen, sondern gezupfte und gewisperte Japan-Folklorismen, dazu gelegentliche bruitistische Japan-Rockexplosionen.

Auf der Bühne gibt es dazu eine lose Episodenfolge, kaleidoskopartig ineinander blendend, von Soli, Duos oder Trios – lediglich am Schluss gebündelt vorbei wirbelnd als rauschhaft gesteigerte Collage aller sechzehn Tänzerinnen und Tänzer – ohne jegliche dramaturgische Verknüpfung. Lauter aneinander gereihte Sequenzen mit ab und zu spezifisch japanischer Konnexion. Dazu gehören auch die generelle Zurückhaltung und Contenance, die zeremonielle Attitüde, das lächelnde Einverständnis, die zarte Rücksichtnahme aufeinander, aber auch das sehr heutig anmutende zunehmende feministische Selbstbewusstsein.

Eher überraschend dagegen der ausgesprochen westlich anmutende Zynismus der gesellschaftlichen Rollenverteilung, der sich in den Textbeiträgen von Mechthild Großmann, dieser unverwechselbaren tanztheatralischen Diseuse mit der Kontraalt-Stimme (beruhend auf Zitaten von Bert Brecht, Ruth Berlau, Georg Büchner und Wislawa Szymborska). Sie ist die eine Hauptfigur in diesem neuen „Stück“ von Pina Bausch. Die andere ist Dominique Mercy, der lächelnde Weltweise, eine Art Prospero des Fernen Ostens. Die anderen Protagonisten der inzwischen zwei Generationen repräsentierenden famosen Tänzer-Equipe aus Wuppertal sind die wunderbar weiche indonesische Ditta Miranda Jasjfi, Helena Pikon und Nazareth Panadero. Langsam beginnt einem zu dämmern, dass Pina Bausch über alle die Jahre an einem tanztheatralischen Gegenentwurf zu Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Schwelle zweier Jahrhunderte arbeitet – global und sehr viel umfangreicher – und gottlob frei von jeglicher Ideologie.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern