Jetzt auch auf DVD: Makarovas Londoner „La Bayadère“

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Stuttgart, 27/08/2004

Sie kursiert ja schon seit 1991 als TV-Aufzeichnung der Londoner Produktion von Natalia Makarovas „La Bayadère“-Einstudierung mit dem Royal Ballet, die seither rund um den Globus von den verschiedensten Kompanien übernommen worden ist. Entstanden ursprünglich 1980 für das American Ballet Theatre, gilt sie seither als westliche Modellproduktion des Petipa-Klassikers von 1877 – vor zwei Jahren auch beim Hamburg Ballett, wo sie nicht meine unbedingte Zustimmung gefunden hat. Ich hatte gehofft, dass John Neumeier sie in Kollaboration mit Makarova herausgebracht hätte – so, wie zuvor die Hamburger „Giselle“, die für mich nach wie vor nach Peter Wright der Musterfall einer modernen Klassikerproduktion ist (neben Neumeiers eigenen Inszenierungen von „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Nußknacker“).

Vor allem hatte ich mir eine gründliche dramaturgische Überarbeitung und eine Neuinszenierung der pantomimischen Rezitative gewünscht – eben wie in der Hamburger „Giselle“. Ich bin mir im Klaren darüber, dass das eine sehr private Meinung ist – sehr im Gegensatz zu solchen Klassiker-Fundamentalisten wie meinem hochgeschätztem Zürcher Kollegen Richard Merz. So gesehen, halte ich Nurejews Pariser Inszenierung, vor allem aber Vladimir Malakhovs Einstudierungen in Wien und Berlin für wesentlich gelungener – nicht zuletzt auch der Ausstattung wegen.

Wenn mir diese Londoner DVD gleichwohl besser gefällt als die Hamburger Aufführung, so aus den verschiedensten Gründen. Erstens weil es sich um eine gestraffte Version handelt – sie ist wesentlich konziser und dauert 123 Minuten (das bedingt ein paar Striche, die aber der dramaturgischen Konzentration zugutekommen). Zweitens weil die pantomimischen Szenen mit viel entschiedenerer dramatischer Überzeugungskraft und Autorität exekutiert werden als die doch sehr verlegen wirkenden Mimereien in Hamburg, bei denen man immer den Eindruck hat, als ob die Darsteller sich entschuldigen wollten, dass sie derartig verstaubte Klischees zu reproduzieren hätten. Drittens weil die Inszenierung viel stimmungssuggestiver ausgeleuchtet ist als in Hamburg, wo Samaritanis Dekors wie Kulissen aus dem Magazin der Mailänder Scala vom Ende des 19. Jahrhunderts wirken, entsetzlich plunderig und pappmachéartig. Und viertens, weil London mit dem Corps des Royal Ballet und den Solisten Altynai Asylmuratova (Nikiya), Darcey Bussell (Gamzatti), Irek Mukhamedov (Solor), Tetsuya Kumakawa (Bronzeidol), Anthony Dowell (Brahmane) und David Drew (Radscha) denn doch noch mindestens einen tänzerischen Michelin-Stern mehr zu bieten hat als die wackeren Hanseaten.

Was ich mir wünschte, wäre, dass Neumeier sich in enger Zusammenarbeit mit Makarova und Angela Dauber (!) noch einmal zu einer Neuproduktion entschlösse. Und sei es als seine Hamburger Abschiedsinszenierung anno 2010 (dann hätte er Petipas 34 Jahre währende St. Petersburger Ballettära bereits um drei Jahre übertroffen). Wobei ich ihm in Anbetracht der inzwischen ja wesentlich erweiterten durchschnittlichen Lebenserwartung ohne weiteres gern noch zehn zusätzliche Lebensjahre zugestehe. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dann noch selbst am Leben zu sein! („La Bayadère“, The Royal Ballet, Choreography by Natalia Makarova after Marius Petipa, featuring Altynai Aslymuratova, Irek Mukhamedov, Darcey Bussell, Tetsuya Kumakawa, Anthony Dowell, David Drew; TV Director Derek Bailey; TDK, DV-BLLB, 1991, 123´)

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