Eine Fehlgeburt

Debut des Tanztheaters Freiburg-Heidelberg mit zwei Uraufführungen von Joachim Schlömer und Irina Pauls

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Heidelberg, 07/11/2004

Nur zur Erinnerung: Dies ist ein Journal, also eine Art Tagebucheintragung und mithin nicht das, was man hierzulande von der Kritik in einer Tageszeitung erwartet. Erinnerung aber auch insofern, als an diesem Premierenabend im Theater Heidelberg in meinem Gedächtnis so viele anregende Ballettabende der Vergangenheit Revue passierten: Die mit zahlreichen Überraschungen aufwartenden sechzehn Jahre der verdienstvollen Ära von Ilselore Wöbke, dann die siebziger Jahre unter Dragutin Boldin und seinem musikalisch so ambitionierten Repertoire und vor allem natürlich das Jahrzehnt, als Johann Kresnik hier als Tanzberserker wütete. Danach wurde es unter Liz King merklich stiller und verebbte schließlich ganz als ein Schauspielmann die Ballettleitung übernahm, an dessen Namen sich heute kaum noch jemand erinnert.

Zuletzt werkelte Irina Pauls aus Leipzig hier vor sich hin, die jetzt auch als künstlerische Leiterin des neu formierten Tanztheaters Freiburg-Heidelberg mit ihrer Zehn-Tänzer-Kompanie in Südbaden residiert, von wo aus sie zu ihrer ersten Premiere an ihre alte Heimstätte zurückgekehrt ist – mit zwei Uraufführungen, „ten“ von Joachim Schlömer und, von ihr selbst, „KeksBruch“. Sie wird es nicht leicht haben – zwischen Mannheim, Stuttgart und Karlsruhe und, auf der anderen Seite des Rheins, dem Dreistädtebund von Mulhouse, Colmar und Strasbourg und ihrem gemeinsamen Ballet du Rhin – nicht zu vergessen schließlich die eigenständigen hochkarätigen Gastspielambitionen von Ludwigshafen. Mit ihrem ersten Programm würde sie wohl kaum in einer dieser Städte reüssieren – trotz des vom üblichen Teenager-Gekreisch begleiteten Premierenjubels.

Der Titel „ten“ des neuen Stücks von Schlömer bezieht sich auf die beteiligten Tänzer, die in einem Raum agieren, der von einem Vorhang aus stählernen Reifen begrenzt wird, während dahinter ein Scheinwerfer unablässig kreisend seine Bahn zieht und romantische Landschaftsprospekte auf und nieder wallen, ab und zu auch ein großer Pfeil über die Bühne getragen wird. Schlömer ist immer dann am besten, wenn er durch große Musik herausgefordert wird (sein Monteverdi-Abend in Basel, „Rheingold“ in Stuttgart). Hier beginnt er mit einer ziemlich langen Einleitung ohne Musik, in der ein Tänzerpaar ein Training wie für eine Fechtstudie in Tauberbischofsheim absolviert, mit markanten Arm- und Ausfallpositionen. Viel aufregender wird es auch im Folgenden nicht, wenn andere Einzeltänzer und Gruppen dazu stoßen und das Blechgetöse der amerikanischen Komponistin Julia Wolfe über uns hereinbricht.

Es kommt immer wieder zu neuen Gruppierungen, auch hechten die Tänzer oder schlängeln sich durch die Vorhangreifen und erstarren dann in neuen Posen – aber das war‘s dann auch. Im Programmheft lesen wir, dass die Tänzer sich auf diese Weise mit dem Raum auseinandersetzen und dem Chaos eine Ordnung abtrotzen. Voilà! In Pauls' „KeksBruch“ geht es musikalisch zu Johann Strauß und Schostakowitsch in Frank Leimbachs Unisex-Ballerinenkostümen, zum Teil auch mit Bollenhut, vor einem Kubus wesentlich lockerer zu. Hier müssen die Tänzer auch „1, 2, 3“ skandieren, schreien und singen und sich mit abgewinkelten Händen enorm echauffieren – womit sie, auch das erfahren wir aus dem Programmheft, die „Notwendigkeit des Wandels“ demonstrieren, denn „der Keks muss brechen!“ Wenn da mal nicht andere Dinge zu Bruch gehen – wenn die neue Kompanie mit diesem Programm auch in Freiburg und in Heilbronn auftritt, das bisher regelmäßig so renommierte Kompanien wie die von Baryschnikow, das Nederlands Dans Theater und die Hubbard Street Dancers zu Gast hatte.

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