Ein Abend der John Cranko-Schule

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Stuttgart, 06/02/2004

Eine richtige, normale Ballettvorstellung im Großen Haus der Staatstheater – keine Matinee, kein künstlerischer Benefiz-Rabatt – lediglich dass der Orchestergraben leer blieb (und selbst das ist ja heutzutage leider nicht mehr die Ausnahme). Auch die Begeisterung des Publikums auf Hochtouren. Ein schöner Beweis für die exzellente Arbeit, die Tadeusz Matacz und seine Kollegen in der Urbanstraße Tag für Tag leisten! In der Tat könnte sich manche unserer Theaterkompanien von der Qualität dieses abwechslungsreich zusammengestellten Programms eine Scheibe abschneiden.
Und vor allem: von dem dort offenbar grassierenden Virus an tänzerischem Élan vital. So muss schon ein rechter Griesgram sein, der an diesem Abend nicht davon infiziert wurde!

Und so ging es denn zweieinhalb Stunden lang bunt gemixt durch die diversen Kategorien: klassisch, modern, auf Spitze, in Schläppchen und Stiefeln und sogar barfuß (das war der einzige Langweiler in diesem Programm), en caractère, mal Wodka-selig russisch, dann wieder mit spanischem Olé-Pep und zum Schluss mit einem Abstecher auf die grüne Insel – sozusagen auf Exkursion nach Irland, zu der alle Beteiligten eingeladen waren, auch die Stargäste von der Kompanie, Sue Jin Kang nebst Jason Reilly und Bridget Breiner mitsamt Alexander Zaitsev (gar zu gern hätte sich auch das Publikum daran beteiligt – aber da hätte die Gefahr der Überbuchung bestanden). Sogar einen Nachwuchs-Star gab es zu bestaunen: den eben in Lausanne preisgekrönten siebzehnjährigen Ukrainer Andrey Pisaryev, der mit der Variation aus „Le Corsaire“ sozusagen sein Gesellenstück als Pirat ablieferte und dann noch einmal als nonchalanter Garçon in Zanellas „Power Spot“ brillierte (nachdem er gleich eingangs in der klassischen Visitenkarte der Schule, Lawrowskys „Klassischer Sinfonie“, bewiesen hatte, dass er sich auch einem Corps als Ensemblemitglied einzuordnen willens ist).

Sonst noch aufgefallen: wie Janina Strejcek im „Nussknacker“-Pas-de-deux ihre Beine geradezu als Celesta-Hämmerchen traktierte und Clemens Fröhlich als Pas-de-trois-Kavalier zum Mirlitonen-Kronprinz befördert wurde. Schön auch, wie die Schule allmählich ihre eigenen Identifikations-Piecen entwickelt. Dazu gehört ja schon seit längerem José de Udaetas „Chicochica“, quasi die Morgengabe der Stuttgarter für eine noch zu begründende Ballettpartnerschaft mit Barcelona. Und als neueste Erwerbung Jon Drakes urkomisches „Moon Marching“, eine Art Aerobic-Sextett für Junioren-Ruderer als Gegenstück zu Robert Norths „Troy Game“. Gute Laune allenthalben, auf der Bühne wie im Zuschauerraum. Keinerlei Reformbedarf wie sonst überall im Lande. Lediglich die Bitte, so weiterzumachen!

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