Deutscher Tanzpreis 2004

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Essen, 14/02/2004

Enorm großes Prominentenaufgebot zur diesjährigen Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2004 im Essener Aalto-Theater. Eine ostentative Solidaritätsaktion der Tänzerschaft in schwierigen Zeiten? Unter den aus nah und fern herbei geeilten Gästen auch der mit besonderer Herzlichkeit begrüßte Pavel Smok aus Prag, der im Gespräch durchblicken ließ, dass es uns immer noch spitze ginge im Vergleich zu den Verhältnissen bei ihm zu Hause an der schönen Moldau.

Einem anderen Gast wurde – nicht vom Hausherrn dieses Abends, Ulrich Roehm, wohl aber vom Publikum, unmissverständlich klar gemacht, dass er in diesem Kreise höchst unwillkommen war: dem Frankfurter Unglückswurm Hans-Bernhard Nordhoff, bei dem man sich nur darüber wundern konnte, dass er die Chuzpe besaß, hier zu erscheinen – als Kulturdezernent amtsverantwortlich dafür, was mit Sicherheit dereinst in Zusammenhang mit Forsythe als „Frankfurter Skandal“ in die deutsche Ballettgeschichte eingehen wird.

Sehr ernste Begrüßungsworte diesmal von Ulrich Roehm angesichts der allenthalten grassierenden Abwicklungs- und Abbaumaßnahmen, Zusammenlegungen und Kürzungsauflagen. Umso warmherziger die Würdigung des diesjährigen Preisträgers William Forsythe mitsamt der Erinnerung daran, welche Impulse damals von Stuttgart ausgingen, wohin Forsythe noch bei einer New Yorker Audition von John Cranko engagiert worden war, ohne dass es ihm vergönnt war, mit Cranko selbst zusammenzuarbeiten.

Das übliche Grußwort vom Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger, der sich stark machte für die Bewerbung Essens im Rahmen der gemeinsamen Ruhrgebietsinitiative als Kulturhauptstadt des Jahres ... ich weiß nicht mehr, welchen Jahres, denn das liegt ja noch in so weiter Ferne, dass ich nicht unbedingt überzeugt davon bin, dann noch länger am Leben zu sein. Im Übrigen scheint er der irrigen Meinung zu sein, Essen sei die Wiege des modernen Tanzes in Deutschland. Einspruch Euer Ehren, der Ruhm gebührt Dresden! Einige hochgezogene Augenbrauen in Eingeweihten-Kreisen sodann über die Wahl des diesjährigen Laudators Klaus Zehelein, seines Zeichens Intendant der Staatsoper Stuttgart und Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Irgendwelche besonderen Interessen seinerseits für die Tanzkunst waren bisher jedenfalls nicht bekannt. Immerhin konnte er an einige frühe Begegnungen mit Forsythe erinnern und machte mit einer durchaus nachdenkenswerten Theorie bekannt, die Forsythe als Mann der „Aktion Vergessen“ reklamierte, als der er palimpsestartig immer neue Schichten über die Materialien der Vergangenheit breitete, die ihn zu immer neuen Ufern aufbrechen ließen, ohne dass je ein Ende, geschweige denn eine Vollendung abzusehen sein. Auch plädierte er eindringlich für die Emanzipation und Verselbständigung des Balletts im Kontext des Gesamttheaters.

Toll zusammengestellt diesmal das mit geradezu enthusiastischer Zustimmung aufgenommene Programm des Balletts Frankfurt mit den drei Stücken „The Room as it was“, das geniale Vier-Männer-Ballett „(N.N.N.N.)“ und „Quintett“ – drei Säulen des Frankfurter Repertoires, um so willkommener als sie sowohl auf die Forsythe-üblichen englischen Sprachbrabbeleien und die nervtötenden Klangattacken von Thom Willems verzichteten und sich rein auf den Tanz konzentrierten, dessen zahlreiche humoristische Eskapaden mir vor diesem Abend noch nie so stark aufgefallen waren. Dieser überwältigende Einfallsreichtum der Choreografie und wie sie von den splendiden Tänzern ausgeführt wurde, mit diesem sensationellen Timing ... Respekt! An diesem Abend demonstrierte Frankfurt in Essen Weltklasseballett. Herr Nordhoff hätte in den Boden versinken müssen vor Scham – aber das verhinderten die Sicherheitsmaßnahmen im Essener Aalto-Theater.

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