Ballett des Staatstheaters Karlsruhe mit Choreografien von Richard Wherlock und Jorma Uotinen

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Ludwigsburg, 01/07/2004

In seiner letzten Spielzeit als Künstlerischer Leiter der Ludwigsburger Schlossfestspiele knüpft Wolfgang Gönnenwein noch einmal da an, wo er vor drei Jahrzehnten begonnen hat. Seit Anfang an ein Verehrer des Balletts, hatte er damals das junge Basler Ballett unter Heinz Spoerli nach Ludwigsburg eingeladen und in den folgenden Jahren fast zu einer Hauskompanie der Festspiele gemacht. Und so lud er auch zum Schluss noch einmal eine junge Kompanie ein, sich in Ludwigsburg vorzustellen: das von Birgit Keil geleitete Ballett des Staatstheaters Karlsruhe, zweifellos die Aufsteigerkompanie der nun zu Ende gehenden Spielzeit. Und betreute selbst am Pult des Orchesters der Ludwigsburger Festspiele die beiden an diesem Abend getanzten Ballette: Richard Wherlocks „Kindertotenlieder“, basierend auf Gustav Mahlers gleichnamigen Liederzyklus, und Jorma Uotinens „Ballet Pathétique“ zu Tschaikowskys 6. Sinfonie in h-moll – mit Hanna Esther Minutillo in den Mahler-Liedern.

Der musikalische Anspruch war also sehr hoch angesetzt. Wherlock, inzwischen Ballettchef in Basel, stellte sich der Herausforderung durch Antony Tudor und seiner „Dark Elegies“, immerhin eins der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts – und Uotinen, zweifellos der führende Ballettmann Finnlands, hatte gegen die Schatten von Leonide Massines „Les Présages“ anzukämpfen, einem der großen sinfonischen Ballette aus der Erbschaft der Ballets Russes de Monte Carlo (auch wenn die sich der 5. Sinfonie von Tschaikowsky bedienten).

Nach dem vom Publikum mit fast einhelliger Zustimmung aufgenommenen Abend im Ludwigsburger Forum am Schlosspark darf man allerdings bezweifeln, ob Birgit Keil gut beraten war, als sie sich zur Übernahmen der beiden Choreografien von 2002 (Wherlock) und Uotinen (1989) entschloss. Zu den „Kindertotenliedern“ hatte es schon nach der Basler Uraufführung an dieser Stelle am 31. Januar 2002 geheißen, dass „das Stück überhaupt keine choreografische Identität besitzt. Fünf zusammengeklitterte Pas de deux in nahtloser Abfolge für fünf Tänzerpaare, die alle Trauer mimen – und dazu hochakrobatische Lifts exekutieren, die überhaupt nicht zum verhaltenen Stimmungsgehalt der Musik passen.“ Hingebungsvoll von fünf Paaren des Karlsruher Balletts exekutiert, muten sie heutzutage als Trauer über den Verlust von Kindern nach der Tragödie um Dutroux doppelt banal und gemeinplätzig an.

Geradezu ärgerlich allerdings sodann der Import von Uotinens „Ballet pathétique“: eine Entgleisung unmusikalischster Art. Choreografiert für elf Tänzer, blossbrüstig im Ballerinen-Dress auf nackter Sohle, geriert es sich als „eine Arbeit über das Leben von Tänzern, ihre Erinnerungen, Hoffnungen, Bedürfnisse, Träume und ihren unablässig harten Alltag“ – mit einer zum Schluss auftretenden „richtigen Ballerina, die über auf der Bühne zurückgelassenen verwelkten Blumen tanzt“ und mit dem Männercorps, jetzt in Cut und Melone mit Luftballons, surrealistisch verklärt wird. Ein kompletter Unsinn, der an geschlechtsverwandelte Sylphiden denken lässt, die in einem Formel-1-Crash lauter Wirbel und Rückgratschäden erlitten haben und auf der Spurensuche nach ihren aufgepickten Orientierungs-Krumen sind. Lächerlich – und dem Ballett insgesamt einen beträchtlichen Schaden zufügend! Die Karlsruher tanzen diesen Unfug, als ob es sich um eine Balanchine-Choreografie handelte – und lassen damit erste Zweifel an Birgit Keils Geschmack und ästhetischer Kompetenz aufkommen.

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