Akram Khan und Company mit „Ma“

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Ludwigsburg, 26/06/2004

Ist er der Erbe von Rudyard Kipling, dem weltberühmten englischen Schriftsteller, der, in Bombay von englischen Eltern geboren, in seinen Novellen und Erzählungen, westeuropäische und indische Traditionen zu versöhnen trachtete, um am Ende resignierend zu erkennen: Ost und West „will never meet“? Akram Khan, der jetzt mit seiner Company, drei Musikern und sieben Tänzern in der Ludwigsburger Kaserne gastierte, ist 1974 in London von musischen, aus Bangladesch eingewanderten Eltern geboren und als Tänzer und Choreograf berühmt geworden, der sich um eine Synthese aus klassischer indischer Tanzkunst und zeitgenössischem westlichen Tanz bemüht. Allerdings ohne alle poltisch-imperialistischen Ambitionen, wie sie für Kipling als Zeitgenosse des viktorianischen Zeitalters charakteristisch waren. Und er scheint damit Erfolg zu haben – wie die begeisterte Zustimmung in Ludwigsburg zu seinem erst vor ein paar Wochen in Singapur uraufgeführten Stück „Ma“ zu beweisen schien.

Hier begegnen sich in der Tat östlich-asiatische und westliche Einflüsse und verschmelzen zu einer atemberaubenden, siebzig Minuten dauernden Synthese, aufgehängt an einer märchenhaften Story, in der die Erfahrungen der Welt auf den Kopf gestellt scheinen – wie von jenem kopfüber aufgehängten Sänger-Darsteller anfangs berichtet, der mit seinen Gedanken die Erde düngt, begleitet von einem indischen Perkussionisten und einer Cellistin, während vier Tänzerinnen und drei Tänzer bewegungslos in dem von lauter kleinen Sandsäcken umgrenzten Raum verharren. Doch nicht lange bleibt die Szene so bewegungslos, einzeln lösen sich die sechs Tänzer und ihr unverkennbar dominierender Chef aus ihrer Erstarrung und stellen sich in ihren Soli als Menschen höchst individuellen Charakters dar.

Menschen? Seltsame Kreaturen von einer ganz unglaublichen Geschmeidigkeit, eher amphibienhafte Wesen, die sich auf allen Vieren bewegen. Wobei die Beine die Funktionen übernehmen, die normalerweise den Armen obliegt. Später beginnen sie auch zu sprechen. Zu sprechen? Sich jedenfalls in Lauten zu artikulieren, denen wir – als eine uns unbekannte Sprache – mit umso größerer Faszination zuhören, da wir ihre Botschaft nicht verstehen. Und die doch unvergleichlich vielgestaltiger ist als unsere Umgangssprache (sollte sich Christian Spuck einmal anhören!). Die danach, wenn Akram Khan seine Story englisch vorträgt, geradezu unglaublich banal klingt. Und besonders unsere Ohren spitzen lässt, wenn sie von zwei Giraffen-Menschen duettiert wird, die, mit beiden Händen und einem Standbein auf der Erde, das andere als in den Himmel schießende Vertikale in die Luft gestreckt, miteinander konversieren. Es ist ein faszinierender Dialog, den Akram Khan, seine Tänzer und seine Musiker miteinander führen, und der sie aus ihren traditionalistischen Wurzeln direkt in die Gegenwart von Louis Armstrongs „Beautiful World“ führt. Und könnte der Entwurf einer Utopie der Versöhnung der Gegensätze zwischen Ost und West heute aktueller als je zuvor sein?

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