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Mainz, 29/10/2003

Heilfroh bin ich, diesmal keine Kritik schreiben zu müssen! Denn, ich muss es immer wieder mal betonen, da es von vielen Lesern offenbar noch immer missverstanden wird: dies ist keine Kritik, sondern ein Journal – also eine Art Tagebuch meiner sehr persönlichen Meinungen und Kommentare! Also „XIII“, die jüngste Premiere mit drei Uraufführungen des ballettmainz im Kleinen Haus des Staatstheaters. Fast möchte ich wünschen, dass der so sympathische Martin Schläpfer, dessen Kompanie so fantastische Fortschritte macht, bald ein anderes Engagement anträte, damit er sich endlich für seine Programme einen griffigeren, publikumsfreundlicheren Titel einfallen ließe. Denn die Nummerierung nach Zahlen mag ja anfangs ganz originell gewesen sein, ist indessen längst zu einem Spleen, ja einer Marotte verkommen, unter der sich kein Publikum etwas Konkretes vorstellen kann.

Zu Beginn also diesmal Schläpfers „sonata(“ (da weigert sich sogar mein Computer, nach der nachgestellten Eröffnungsklammer die Anführungszeichen nach oben zu setzen) zum Adagio aus Haydns Klaviersonate As-Dur. Das beginnt noch musiklos als Hoppe-Hoppe-Häschen-Possierlichkeit für sieben Tänzerinnen und verdichtet sich dann zu einem ausufernden Pas de deux für Kirsty Ross und Igor Mamonov, der schließlich in einem offenen Schluss (wie jüngst in Karlsruhe) endet. Im Programmheft lese ich hinterher, dass dies „ein Totentanz ohne Trauer sei“. Na ja!

Das folgende Stück heißt „Auszeit“, stammt von der brasilianischen Choreografin Gisela Roch, und hebt an mit zwei Tänzern, Nick Hobbs und Jörg Weinöhl, die brabbelnd die Bühne betreten und auch im Folgenden, wie auch ihre weiteren vier plus fünf Kolleginnen und Kollegen Unmengen Texte in diversen Sprachen absondern. Ich habe allerdings immer nur Bahnhof verstanden – aber man weiß ja inzwischen, wie sehr ich diese Quassel-Ballette liebe! Hobbs und Weinöhl hielt ich anfangs für palästinensische Flüchtlinge im Gaza-Streifen, die sich einen papierenen Unterschlupf bauen und vergeblich gegen die von den Israelis errichtete Mauer (Bühne und Kostüme Thomas Ziegler) anrennen. Die wird dann allerdings in die Höhe gezogen und zu John Adams choreografisch schon diverse Male malträtierten „Shaker Loops“ stürzen sich die neun weiteren Tänzer nebst Hobbs und Weinöhl in sich immer beschleunigendere Rotations-Spinnereien. Das machen sie wahrlich fabelhaft, bis Weinöhl am Schluss decrescierend und „Ich komme“ repetierend von der Bühne abgeht.

Nach meiner Meinung wieder mal eine narzisstische Onanier-Choreografie mit überraschender Anti-Klimax als Orgasmus. Habe ich das nun überinterpretiert, oder reicht meine Fantasie nicht aus, der Choreografin zu folgen, die sich hier, wie ich lese, auf eine „ganz alltägliche und persönliche Spurensuche jenseits aller philosophischen Diskurse“ nach der Zeit begeben hat. Ich würde als Titel eher für „zeit-los“ plädieren!

Aber dann wurde es doch noch richtig rasant ballettig – in Schläpfers „Partita Nr. 6“ für Klavier, BWV 830, choreografiert, wenn ich richtig gezählt habe, für 17 Tänzerinnen und Tänzer, auf Spitze, mit einer stählern glitzernden Trikot-Haut – sehr à la Keso Dekker – von Thomas Ziegler. Das sind sieben Sätze, einander überlappend, in wechselnden Gruppierungen, mit zahlreichen Soli und unterschiedlichen Formationen, am Schluss die Spitzenschuhe ausgezogen und flehentlich dem Publikum entgegengestreckt. Gebrochene, fragmentarisierte Klassik, ungemein vielgestaltig, in einem überwiegend beschleunigten Tempo, mit einem reichlich zerdehnten Pas de deux für Julie Thirault und Igor Mamonov, erzmusikalisch, wie mit Speed und Ecstasy gedopt. Brillant getanzt, und ganz auf die einzelnen Tänzerindividualitäten zugeschnitten. Schläpfer at his best! So dass man sich schon auf „XIV“ freut, wo sich Schläpfer erneut seinem kompositorischen Favoriten Alfred Schnittke zuwenden will und darüber hinaus Boccherini-Berios hinreißende „Ritirata notturna“ verspricht.

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