Reid Anderson über Ballett fürs 21. Jahrhundert

oe
Stuttgart, 08/01/2003

Anlässlich der Konferenz internationaler Ballettchefs über die Zukunft des Balletts im 21. Jahrhunderts im englischen Snape hat Reid Anderson, Intendant des Stuttgarter Balletts, dem englischen Journalisten Brendan McCarthy ein Interview gegeben, das im Internet veröffentlicht worden ist. Es stellt alles in den Schatten, was ich in den letzten Monaten an Äußerungen von Ballettprofis gelesen habe – inklusive allem, was Anderson selbst in Stuttgart verlautbart hat und ist nicht zuletzt ein glänzender Beweis für die Intelligenz des Fragenstellers, der nicht müde wurde, immer wieder nachzuhaken, McCarthy hat ihn dabei über seine Karriere als Tänzer befragt, die Globalisierung des Ballettrepertoires mit der Sucht des Publikums nach abendfüllenden Stücken, den Erfolg seiner Kompanie bei der Entwicklung von Nachwuchschoreografen, das Verhältnis zwischen Ballett und Modernem Tanz und seine Erfahrungen im Lernprozess seiner Karriere als Ballettdirektor.

Freimütig erteilt er Auskunft über seine anfänglichen Schwierigkeiten in Stuttgart bei seinen Bemühungen um eine Verjüngung der Kompanie, über die besonderen finanziellen Bedingungen des Stuttgarter Balletts, über das Verhältnis des lokalen Publikums und der Kritiker zu ihrer Kompanie, auch über seine nicht vorhandenen Ambitionen als Choreograf und sein Verhältnis zu seinen Tänzern. Das brillante Interview – vergleichbar in etwa dem berühmten Interview, das Balanchine am Vorabend seines sechzigsten Geburtstags 1964 den beiden amerikanischen Publizisten Ivan Nabokov und Elizabeth Carmichael gegeben hat und mit dessen deutscher Übersetzung das damals noch in Hamburg befindliche Tanzarchiv seine Reihe von Veröffentlichungen begann – liest sich wie eine einzige große Konfession.

Man gewinnt den Eindruck, dass Stuttgart mit dem Engagement Andersons das große Los gezogen hat (wovon ich übrigens, bei allen gelegentlichen kritischen Vorbehalten, von Anfang an überzeugt war und noch immer bin): der richtige Mann, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort! Wonach man sich allerdings fragt, warum man ein solches Interview auf einer englischen Homepage im Internet und nicht in einer deutschen Zeitung oder Zeitschrift liest!

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