Nürnberg gastiert mit Daniela Kurz' „Hamlet ruft“ in Stuttgart

oe
Stuttgart, 01/10/2003

Daniela rief – und alle, alle kamen, hätte ich so gern geschrieben anlässlich des zweitägigen Gastspiels des Nürnberger Balletts mit Daniela Kurz‘ „Hamlet ruft“ im Stuttgarter Opernhaus (während das Stuttgarter Ballett derzeit in Kairo gastiert). Denn Daniela Kurz, in Stuttgart groß und bekannt geworden, erfreut sich in der Schwabenmetropole einer außerordentlichen Popularität, und ihr „Hamlet ruft“ hatte nach der Premiere vor einem halben Jahr in Nürnberg überwiegend freundliche Kritiken bekommen. Dies war also sozusagen ein Heimspiel für sie. Doch von allen, allen konnte nicht die Rede sein – das Opernhaus war etwa zu zwei Dritteln besetzt – worüber andere Städte vermutlich bei ähnlichem Anlass schon froh sind, aber in Stuttgart sind wir natürlich verwöhnt und – wie gesagt – Daniela Kurz ist hier ein Markenname allererster Güte.

Die gekommen waren feierten dann allerdings Daniela und Ihre Tänzer ausdauernd und mit großer Begeisterung (hoffentlich auch am zweiten Abend). Ich muss jedoch gestehen, auch beim zweiten Sehen nicht dahinter gekommen zu sein, was denn der Nürnberger Hamlet eigentlich gerufen hat – gerufen, deklamiert, gesäuselt, geflüstert und geschrien hat. Vielleicht liegt‘s ja auch daran, dass ich so wenig verstanden habe. Und die geplagten Leser des kj wissen ja inzwischen zur Genüge, was ich von dieser ganzen Spezies der Quassel-Ballette halte. Und so wiederholte sich denn in Stuttgart alles in allem der Nürnberger Eindruck: starke, wuchtige Bilder – zu verdanken nicht zuletzt dem rot flammenden Schwarz der Bühne von rosalie, der stimmungssuggestiven Beleuchtung, dem apart eigenwilligen Live-Musik-Arrangement, der leicht japanisch anmutenden stilistischen Verfremdung, auch der durchaus individuellen Charakterprofilierung der Hauptfiguren (soweit erkennbar – denn viele Szenen versacken in purer Rätselhaftigkeit).

Wer nun aber glaubt, jetzt folgt die Einschränkung: Alles ganz gut und schön, aber der Tanz, der irrt! Denn es wird toll getanzt, sehr kontrastreich, bei maximaler Ausnutzung der verschiedenen Raumebenen (mit Laufsteg, eben irgendwie japanisch anmutend, durch den Zuschauerraum und zahlreichen Auftritten vom Parkett aus). Und die Nürnberger tanzen mit vollem Einsatz – man merkt ihnen an, wie sie sich hundertprozentig für ihre Chefin engagieren. Die Besetzung der Hauptrolle mit einer Tänzerin an diesem Abend (für die zweite Vorstellung ist der Tänzer Luca Morazia angekündigt), ist zwar sehr modisch gender-korrekt, wirkt aber trotzdem eher wie eine Marotte.

Sarah Bernhardt in allen Ehren, doch Dagmar Bock bleibt zu eindimensional, füllt nicht annähernd die komplexen Verstrickungen dieser Rolle, das Netzwerk ihrer psychologischen Polyphonie – ein armes Hascherl, und ach so traurig! So bleibt, alles in allem, ein Zwiespalt der Reaktionen. Man registriert die intellektuelle Anstrengung und bleibt doch völlig ungerührt. Welche zusätzliche tänzerisch-choreografische Perspektive hätte diese erneute Annäherung an den viel malträtierten Shakespeare-Stoff (nach Helpmann, Nijinska, Gsovsky, Tschabukiani, Neumeier, Schaufuss e tutti quanti) erschlossen? Sorry, aber ich habe keine entdecken können – nur eine Minimierung seiner ungeheuerlichen tragischen Dimension! (Verspätet erschienen wegen eines technischen Übermittlungsfehlers).

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