Norbert Servos und Gert Weigelt: „Pina Bausch. Tanztheater“

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Stuttgart, 17/12/2003

Schnell noch ein Nachtrag für die Weihnachts-Empfehlungsliste: „Pina Bausch. Tanztheater“ von Norbert Servos mit Fotos von Gert Weigelt, erschienen im K. Kieser Verlag, München 2003, 256 Seiten, 48 Seiten farbiger Bildteil; ISBN 3.935456-05-0; 20 Euro. Nach den inzwischen fast schon zu vielen Büchern und Fotobänden über Pina Bausch und das Wuppertaler Tanztheater: die erste Publikation, die das Zeug hat, zum Standardwerk über die Galionsfigur des deutschen Tanztheaters zu werden. Von Norbert Servos, der sich wohl am längsten, kontinuierlichsten, gründlichsten und analytischsten auf Pina Bausch eingelassen hat. Erstmalig mit einem umfangsreichen Farbfototeil von Gert Weigelt, der bisher nur Schwarz-Weiß-Fotos über sie und ihre Kompanie veröffentlicht hat. Es ist ein schöner, sauber gedruckter Band geworden, der gut in der Hand liegt, elegant zu lesen ist, und dessen Fotos von Leben, von Vitalität geradezu bersten.

Servos betont im Vorwort und seinen beiden Einleitungskapiteln „Aus der mythischen Zeit – aus der Gegenwart“ und „Von der Erfahrung am eigenen Leib – Wie sich das Tanztheater erzählt“, wie sehr der Mensch und sein Verhalten in der heutigen Welt im Mittelpunkt des Bauschschen Tanztheaters steht – wie sehr die Recherche über den Menschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert die Inhalte dieses Tanztheaters beherrscht. Kein anderes Wort in den folgenden Beschreibungen ihrer Stücke von „Frühlingsopfer“ bis zum jüngsten, in der Türkei entstandenen „Nefés“ begegnet so oft wie das Wort Liebe. Und es sind wahrlich augenöffnende Beschreibungen, immer ganz dicht an den auf der Bühne verhandelten Begegnungen zwischen den Menschen und der Menschen mit sich selbst – Begegnungen, die genau auf den Punkt gebracht und mit scharfem Blick und heißem Herzen analysiert werden. Die dann in den Fotos noch einmal fokussiert werden und energiegeballt und dynamisch, das Buchformat förmlich sprengend über den Seitenrand in den Raum explodieren.

Es folgen noch ein Kapitel über die Arbeit des Tanztheaters Wuppertal, basierend auf Interviews mit den Mitarbeitern nebst kurzen Porträtskizzen der Tänzer – und sodann drei Interviews mit Pina Bausch aus den Jahren 1990, 1995 und 1998, an denen man den Weg ablesen kann, den sie in diesen Jahren gegangen ist. Zum Abschluss gibt es noch eine Chronik ihrer biografischen Daten und ein Werkverzeichnis von „Fritz“ (1974) bis „Nefés“ (das im Türkischen so viel wie „Atem“ bedeutet), in dem dankenswerterweise jeweils auch die beteiligten Tänzer genannt sind. Ein schönes, ein wichtiges, ein warmherziges Buch, geschrieben und fotografiert mit hochgradig sensibler Empathie – und dazu noch bemerkenswert preisgünstig!

P.S.

In einer Rezension des Ausstellungsbuchs „Krokodil im Schwanensee“ schrieb ich die auf dem Cover abgebildete „Schwanensee“-Aufführung irrtümlich E. Köhler-Richter und dem Leipziger Ballett zu. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um die von Patrice Bart besorgte Inszenierung an der Berliner Staatsoper, fotografiert von Gert Weigelt. Ever so sorry! Und noch eine Ergänzung: Ein paar Tage nach Ende der Berliner Ausstellung lieferte die Post das neue Heft des Münchner „tanz-journals“ aus. Und siehe da: Es enthielt sich zwar weiterhin jeglicher Ausstellungs-Rezension (offenbar um einem eventuellen Vorwurf der Befangenheit aus dem Wege zu gehen), brachte dafür aber ein umfangreiches und sehr inhaltreiches Interview mit Dirk Scheper, dem Sekretär für darstellende Künste in der Berliner Akademie der Künste und Projektleiter der Ausstellung.

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