Joachim Schlömer: „Les Larmes du ciel“

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Ludwigsburg, 17/06/2003

Wieder so ein totschick globaler Designer-Titel: „Les Larmes du ciel“. Aber „Die Tränen des Himmels“ klängen Joachim Schlömer vermutlich zu piefkisch-deutsch. Doch wenn es sich denn schon ausschließlich um italienische Texte in der Musikauswahl von Gesualdo, Legrenzi, Monteverdi, Scarlatti, Vivaldi e tutti quanti handelte, warum dann nicht „Le lagrime del cielo“? Anderthalb Jahre nach seiner Premiere in Luzern erreicht Schlömers Tanz- und Musiktheater die Ludwigsburger Festspiele – zu Gast im dortigen Schlosstheater. Und enttäuschte zwar nicht, erfüllte aber auch nicht ganz die hoch gespannten Erwartungen nach den geradezu enthusiastischen Uraufführungskritiken („eine der schönsten Aufführungen, die das europäische Theater derzeit zu bieten hat“). Und schon gar nicht den von Schlömer selbst gesetzten Maßstab seines früheren Monteverdischen „La guerra d'amore“.

Keinerlei Qualitätseinbußen bei den unter der Leitung von Attilio Cremonesi und mit ihm selbst beteiligten sieben Musikern des Collegium Musicum Köln. Und die Musikstücke selbst, lauter Lamenti, also Trauer- und Klagelieder und -melodien: wahrlich zum Weinen schön – und durchaus nicht immer Moll-gestimmt (man versteht, warum die Komponisten damals im Parodieverfahren die gleiche Musik ganz unterschiedlichen Texten zugrunde legten). Und auch auf der von Jens Kilian hergerichteten Bühne (eine Klagewand mit einer darin eingelassenen doppelstöckigen Apsis) waren die gleichen beiden Mezzosopranistinnen, und drei Tänzer (zwei Frauen, ein Mann) beteiligt wie schon in Luzern – die Sängerinnen genauso choreografisch geführt und einbezogen wie umgekehrt die Tänzer auch als Geräuschproduzenten.

Was mich gestört hat, waren die bewusst als Kontrapunkt zur Musik gesetzten, den musikalisch-choreografischen Fluss ständig unterbrechenden, ausgesprochen banalen Alltagsverrichtungen: die Taschendiebin, das Aus- und Anziehen der Hose, die Orangenesserinnen, die Lego-Baukasten-Spiele, das forcierte Herumgeklettere an der Wand, das Transportieren von Gegenständen von links nach rechts und wieder zurück, die Befestigung von vogelähnlichen Gebilden am Körper, das Hantieren mit Messern, das Aufschneiden der Pulsadern, das Aufwischen von Blut ...

Ich weiß, ich weiß, Schlömer wollte damit die historische Musik an die heutige Alltagsrealität heranholen, wollte, dass die beiden einander durchdringen und damit zeigen, wieviel Gegenwart in dieser Musik vorwiegend aus dem Sei- und Settecento pulsiert. Auf mich wirkte indessen dieser ständige Verweis auf unsere heutige Befindlichkeit nicht verstörend, sondern lediglich forciert, der zeitgeistigen Korrektheit zuliebe. Dagegen bewunderte ich ein ums andere Mal die rein choreografischen Arrangements, ihre hinreißend stimmige Musikalität, ihre Dynamik und pure ästhetische Schönheit. Ich respektiere zwar Schlömers Ambition, das Musik- und das Tanztheater miteinander zu versöhnen, kann mir aber nicht helfen, immerfort zu denken: ach bliebe er doch bei seinen choreografischen Leisten!

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