"Hamlet ruft", Tanzstück von Daniela Kurz

oe
Nürnberg, 20/04/2003

„Hamlet ruft“ – aber diesmal nicht aus Helsingör – und auch nicht aus Wittenberg (wohin er bekanntlich studienhalber delegiert worden war), sondern aus der Meistersingerstadt. Und auch dort nicht etwa von der Festwiese, wo ihm ein vielhundertstimmiges „Wach auf, es nahet gen den Tag“ entgegenschallte, sondern vom Bauhof des Nürnberger Tiefbauamtes, da wo die Kegel zu Dutzenden lagern, die zur Absperrung dienen. Auf die hat rosalie ihre Tanzschräge postiert, zu der ein schmaler Laufsteg aus dem Parkett führt – ein bisschen à la Kabuki (eine Assoziation, zu der auch die Kendo-Trommler stimulieren, die den ersten Auftritt der beiden Totengräber untermalen).

Viel tiefschwarze Nacht und höllisch glühendes Rot auf der Bühne des Nürnberger Opernhauses – auch in den strengen, bis zum Hals geschlossenen Kostümanzügen im Japan-Look, die ebenfalls rosalie entworfen hat. Rot auch die Fahnen des Dannebrog, die sich später herabsenken und dann skelettiert werden, bis nur noch ihr Kreuz aus Neon-Röhren übrigbleibt. Fauchend rot der Mordhandschuh. Sonst gibt es lediglich eine Reihe scharf zugespitzter Zähne, die drohend über der Szene schweben. Das ist der bildkräftige Raum, akustisch aufgefüllt von den beiden Musikern Michael Kiedaisch und Lenka Zupkova, die auf allen möglichen und unmöglichen Instrumenten die exotischsten Klänge produzieren – und auch da stellen sich augenblicklich wieder diese fernöstlichen Assoziationen ein. Von Shakespeare sind nur noch ein paar Worthülsen übrig geblieben, deklamiert von Jessica Billeter, versetzt mit diversen Dadaismen aus dem Fantasia-Vokabular von Kurt Schwitters.

Und die Personnage aus Shakespeares Tragödie natürlich, angefangen von Hamlet, der sich nicht recht entscheiden mag, ob er nun eigentlich ein Junge oder ein Mädchen ist – die zarte und fragile Dagmar Bock suggeriert einen seltsam geschlechtslosen Zwitter, bis – na ja, eben bis zu den Totengräbern von Jessica Billeter und Sergiu Matis. Das Königspaar ist vertreten, mit Hamlets Mutter Gertrud (Rikka Läser) und Ersatzvater Claudius (Ivo Bärtsch), die Polonius-Familie inklusive Daddy (Mikko Jairi), Laertes (Luca Marazia) und Ophelia (Nefeli Skarmea), und sogar Rosenkrantz und Güldenstern, aber die zu identifizieren ist mir ebenso wenig gelungen wie den Geist. Wie mir denn überhaupt viele Szenen schleierhaft geblieben sind, so dass ich mich frage, was denn wohl die Besucher davon halten werden, die die Hamlet-Story nicht kennen.

Aber vielleicht soll man ja gar nicht so viel denken in diesem Tanzstück, sondern sich auf die Bilder konzentrieren – und die sind stark und entwickeln ihre eigene Dynamik, bersten förmlich von lauter Tanz – und auch da registriert man wieder mancherlei fernöstliche Anspielungen und Rituale. Und wenn ich auch nicht so weit gehen würde, Daniela Kurz in den Rang einer Shakespeare-Choreografin zu erheben (der ist im Übrigen lange vergeben – schon mal was von Viganò gehört?), so bekenne ich doch gern, keine Minute gelangweilt gewesen zu sein und frappiert von ihrer tänzerischen Einfallskraft und von der zähnebleckenden Attacke, mit der sie ihre famosen Tänzer aufgeladen hat, dass die förmlich in den Raum explodieren.

Was denn Nürnbergs teurer Sohn Hamlet nun eigentlich ruft, habe ich zwar während der hundert Minuten nicht verstanden – aber gelauscht und geschaut habe ich mit gespannter Aufmerksamkeit – und voller Bewunderung für die hoch motivierten Tänzer, die den Stand von Lehrbuben und -mädeln längst hinter sich gelassen haben und inzwischen durchaus ihre eigene Meister-Zunft bilden. Auch wenn ihre Hamlet-Weis‘ kaum Chancen hat, in den von Hans Sachs gestifteten Tanztraktat von der Pegnitz aufgenommen zu werden!

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