Das neue Stück von Pina Bausch

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Wuppertal, 21/03/2003

Kein Titel, wie stets bei Pina Bausch in Wuppertal. Auf dem Besetzungszettel mit den alphabetisch aufgelisteten zehn plus zehn Tänzerinnen und Tänzer lediglich der Hinweis „Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit dem International Istanbul Theatre Festival und der International Foundation of Culture and Arts.“ Die offen daliegende Bühne, wie stets bei Peter Pabst leer, mit einer einsamen Pfütze in der Mitte. Aus den Lautsprechern leise vor sich hin jaulende und quäkende Töne. Pina Bausch also diesmal alla turca – doch bei ihr bedarf es keiner Awacs Erkundungsflüge, sie blickt eher in die Seele der Menschen am Bosporus. Und da sieht es offenbar nicht viel anders aus als bei den jungen Menschen an der Wupper, die Männer, angekleidet von Marion Cito, wie von der Stange bei C & A, die Frauen durchweg in schicken Abendkleidern. Keinerlei Döner-Düfte in der Luft des Opernhauses in Barmen.

Überhaupt gibt es nur in paar sparsam getürkte Anspielungen. Die erste Szene allerdings spielt in einem Hammam, inklusive belustigender Massage, später ein Gewimmel und Gefeilsche wie in einem Basar und kurz vor Schluss rasende filmische Projektionen des Verkehrschaos während der Rushhour mit den schreiend vor den herumsausenden Bussen, Autos, Taxis und Motorrollern flüchtenden Tänzern. Ganz am Schluss dann die gewohnten Reihenformationen der zweimal zehn Tänzerinnen und Tänzer, die sich diesmal in der Hocke über die Bühne schlängeln.

Dazwischen diesmal auffallend viele Soli, jedes anders choreografiert und ganz auf die Individualität der Tänzer zugeschnitten. Wenig sprachliche Verlautbarungen diesmal. Die üblichen Spielerein mit und über Tischen und Stühlen, auch ein Container ist im Spiel. Es wird viel gemixt und getrunken, wird gewatet durch die sich ständig erweiternde Pfütze, in die der Regen plätschert und sich einmal ein Sturzbach aus dem Schnürboden ergießt. Auch das Haarkämmen spielt eine wichtige Rolle, so dass man manchmal meint, lauter Melisanden vor sich zu haben.

Eine geläuterte Pina Bausch präsentiert sich uns an diesem Abend, lächelnd, von innen leuchtend, voll Poesie – und tänzerischer Fantasie. Die allerdings ist von einem Reichtum, von einer unerschöpflichen Fabulierlust und Einfallsfülle, dass einem die Augen übergehen. Und die belebt jede Fiber des Körpers. Und nirgends anmutiger und ästhetisch berückender als bei einer Stippvisite in Indien, im Solo einer ungemein fragilen Tänzerin, das wie eine anmutige Zusammenfassung aller Stile und Schulen vom Ganges anmutet. Und die Tänzer tanzen das mir einer lächelnden Hingabe, die reine Verzauberung bewirkt – mit ein schier unglaublichen Virtuosität.

Es sind die Tänzer der zweiten Wuppertaler Bausch-Generation. Pina Bausch also scheint heimgekehrt, tänzerisch gesundgebadet, aus Istanbul nach Wuppertal, zum Tanz, um das poetische Erbe Else Lasker Schülers anzutreten. Welcome home, Prinzessin Pina aus dem Adel der Jussupoff.

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