Blumentöpfe und ein Gewinner

„Junge Choreografen“ beim Stuttgarter Ballett

Stuttgart, 17/07/2003

Sie sind ein Laboratorium, aus dem seit fast fünfzig Jahren immer wieder ganz Erstaunliches hervorgeht: Im Lauf ihrer Geschichte haben die Jungchoreografen-Abende der Noverre-Gesellschaft bekanntlich halb Deutschland mit Ballettchefs versorgt. Die diesjährige Edition im Stuttgarter Schauspielhaus war abwechslungsreicher und unterhaltsamer als in den letzten Jahren; fünf der ambitionierten Ballett-Erfinder kommen aus dem Stuttgarter Ballett, drei von außerhalb.

Robert Conns Erstlingswerk „Errant Paths“ ist ein kurzes Handlungsballett über eine hektische Yuppie-Gesellschaft, in die Jorge Nozal als blumentöpfelnder Öko-Außenseiter hineingerät. Vom choreografischen Duktus her ähnelt das Werk den derzeit so beliebten Broadway-Tanzshows wie „Movin' Out“ oder „Contact“, in denen es überhaupt nicht darum geht, irgendetwas Neues zu erfinden, sondern mit dem allzu bekannten Schrittrepertoire Nachdenklich-Episodisches zu arrangieren, meistens zu einer beliebigen Musikcollage. Eine nettes Stück für den einmaligen Gebrauch, für Stuttgart viel zu oberflächlich und choreografisch im Grunde gegen Null tendierend - die Videoaufzeichnung allerdings dürfte Conn beste Dienste bei einer Bewerbung in Amerika leisten.

Alexander Makaschins „Denial of service“ lässt zwei Paare immer schneller zwischen Folklore und Disco mit Fußfesseln wechseln, bis es mittendrin einfach aufhört. Wieslaw Dudek, ebenfalls Stuttgarter Corps-Tänzer, arrangierte für sich, Magdalena Dziegielewska und jede Menge Verkehrszeichen das ultimative Autobahn-Ballett. Ein netter Abschieds-Gag (und ganz bestimmt nicht mehr) - Dudek tanzt nächstes Jahr in der Staatsoper Unter den Linden. Ob es an der hohen Erwartung nach seinem Erfolgs-Pas-de-deux „Come neve al sole“ lag, dass Rolando d'Alesios „Blanket of clouds“ etwas enttäuschte? Die „Decke aus Wolken“ für Katja Wünsche und Jason Reilly brauchte lange, bis sie ihrem luftigen Titel gerecht wurde, der große Gummiball wirkte dabei wie ein Fremdkörper. Unprätentiös, wunderbar musikalisch und von der lächelnden Leichtigkeit, die schon wieder höchste Kunst ist, war Alexander Zaitsevs Solo zu Edith Piafs „Les flons flons du bal“ - ein heimlicher Höhepunkt des Abends.

Aus der Videoclip- und Popszene kommt der Heilbronner Selatin Kara; er arrangierte zu einem Ausschnitt aus Orffs „Carmina Burana“ eine Art religiös verbrämte Ballettshow, deren virtuoser Effekthascherei man sich immer wieder geschlagen geben musste. Einen völlig anderen Ansatz, den klassisch-akademischen, wählte der Amerikaner Marc Spradling (Professor an der Frankfurter Musikhochschule und der Webdesigner des Frankfurter Balletts), der für Bridget Breiner und Douglas Lee eine feinsinnige Etüde zu Bartók schuf, mit knappem Witz und doch streng, dicht und ohne jeden Leerlauf. Vor zwei Wochen hat Marco Goecke für sein Stück „Blushing“ den „Prix Dom Pérignon“ in Hamburg gewonnen - eine mutige, überraschende Entscheidung der doch recht ballettös besetzten Hamburger Jury. Denn wieder erschreckt der junge Choreograf aus Wuppertal mit einem seiner nervösen Extremistenballette, in dem gesichtslose Terroristen herumstehen, in dem sich Menschen erschießen, in dem die ständig flatternden Hände der Tänzer einen fast selbst auf den Psychotrip jagen. Goeckes wilde Imaginationskraft macht manchmal schlichtweg Angst - hier hat Tanz wieder die Kraft, vor den Kopf zu stoßen, zu polarisieren und aufzuwühlen. Das schaffen nicht viele Choreografen. Auch „Blushing“ wird wie der ganze Abend hingebungsvoll, geradezu begeistert getanzt - die Stuttgarter Corpstänzer und Solisten sind sich ohne jeden Unterschied für kein Experiment, für keinen debütierenden Kollegen und auch für keinen Spaß zu schade. Vielleicht sollte Reid Anderson seiner Kompanie (und ihrem Publikum) ab und zu doch mehr Abwechslung vom ewigen Cranko und der ewigen Klassik gönnen, ob extremes Tanztheater oder Broadway, ob expressiven Ausdruckstanz oder MTV: Seine Tänzer können alles und brennen nur darauf, das zu zeigen.

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