ballettmainz: Programm XI

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Mainz, 18/04/2003

Nein, kein Scherzballett über Mainz am Elften im Elften – sondern ganz seriös: eine Abo-Wiederholungsvorstellung des elften Programms seit Martin Schläpfers Mainzer Amtsantritt anno 1999 – vor vollem Haus an diesem Karfreitag, dessen Wetter wahrlich dazu verlockte, andere Dinge zu tun als in Theater zu gehen! Werden sich die Besucher später fragen: erinnerst Du Dich noch an Programm XI? Werden Sie nicht eher sagen: warst Du schon im „Feuervogel“ (genau wie sie sich wohl kaum an Programm X, wohl aber an Schläpfers „Kunst der Fuge“ erinnern werden).

Ich halte diese Nummernfolge für einen Mainzer Spleen – oder will Schläpfer etwa später, wenn er wie Beethoven bei Programm CXXXIII angekommen ist, sich auf die „Große Fuge“ berufen? Wie dem auch sei: das neue Programm also, das vor einem Monat Premiere hatte – mit zweimal Hans van Manen (der sozusagen die Schutzherrschaft über ballettmainz übernommen hat), „Concertante“ (zur „Petite symphonie concertante“ von Frank Martin) und „Andante“ (dem zweiten Satz aus Mozarts später g-moll-Sinfonie) – und danach dann der „Feuervogel“ von Schläpfer (den er schon einmal in Bern, quasi als Try-Out, hier nun aber in völlig überarbeiteter Form gemacht hat) – übrigens richtig live vom Philharmonischen Orchester des Staatstheaters unter der Leitung von Gernot Sahler musiziert.

Ein Ballettabend, der anmacht und zum Wiederkommen animiert. Es ist ja aber auch erstaunlich, wie die Arbeit des ballettmainz von Premiere zu Premiere Fortschritte macht, wie die Tänzer an ihren Aufgaben wachsen, wie Schläpfer ihnen mehr und mehr abverlangt und dabei ständig auch sein choreografisches Vokabular erweitert – mit welch einem Feinschliff die van Manens heute in Mainz getanzt werden, dass man versucht ist, dem mainzballett den Ehrentitel eines NDT IV zuzuerkennen. Für die vier Paare in „Concertante“ hält Mainz zwei verschiedene Besetzungen bereit – alle Achtung, bei dem Anspruch dieser Choreografie mit ihren abrupten Kontrasten. Auch das „Andante“ ist doppelt besetzt, an diesem Abend mit Ana Méndez Lago und Igor Mamonov (es erinnert mich in seiner knisternden erotischen Spannung an Kyliáns Mozart-Tänze, kommt aber ganz ohne dessen anekdotische Pointen aus – wie wenn van Manen ein Abstraktum von Choderlos de Laclos' „Liaisons dangereuses“ im Sinne gehabt hätte, mit den in den Boden gestanzten Piqués als Pfeile von Amors Bogen). Die Mainzer Tänzer attackieren diese beiden Choreografien mit einer messerscharfen Rasanz, gleich von den signalartigen Ports de bras und sensuellen Hüftschwüngen an, ihr tänzerisches Temperament nachtwandlerisch an der Grenze vor dem Überschwappen ins Unkontrollierte zügelnd). Fabelhaft!

Für den „Feuervogel“ hat Schläpfer ein paar dramaturgische Korrekturen vorgenommen – ein abstrakt-eisig glitzernder Märchenwald, der am Schluss in ein Goldfeuerwerk explodiert (Bühne und Kostüme von Thomas Ziegler), zwei leicht meschugge Oberaufseher (Nick Hobbs und Jörg Weinöhl) im Gefolge Kastscheis, der hier mit einer Frau besetzt ist (Yuko Kato) – wenig überzeugend, und man weiß nicht recht, ob's an der Tänzerin liegt oder doch an Schläpfer, der sich am Anfang im Solo des Feuervogels und seiner Begegnung mit Iwan Zarewitsch choreografisch derart verausgabt hat, dass für den zweiten Teil und die verschenkte, beiläufige Apotheose nicht mehr als Routinearrangements übrig geblieben sind. Allerdings ist dieser Anfang und auch noch der Auftritt der Prinzessin Zarewna (Kirsty Ross) und ihrer sechs Freundinnen so hochkarätig choreografiert, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt.

Besonders was er sich für den Feuervogel und den Pas de deux mit Iwan Zarewitsch hat einfallen lassen, ist von einer ganz unglaublichen Einfallsfülle. Wie Marlúcia do Amaral diese spitz-stachligen Bewegungen ausführt und mit animalischer Brisanz auflädt, ist geradezu stupend – gegen sie hat Kastschei einfach keine Chance. Und es ist eine wahre Wonne zu sehen, wie Schläpfer sein Vogelvokabular ganz aus der Musik abgeleitet hat, und wie er ebenfalls ganz aus der Musik heraus Igor Mamonov als Iwan Zarewitsch diesen Feuervogel zähmen lässt. Dies ist ein Geniestreich von Pas de deux, der jedem Galaabend zur Zierde gereichen würde. Bitte bald nach Stuttgart einladen – wie man dem ganzen ballettmainz unbedingt eine Einladung nach Stuttgart (oder environs – zum Beispiel nach Ludwigsburg) oder – why not? – nach Berlin gönnen würde!

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