Natalia Makarovas Hamburger „La Bayadère“

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Hamburg, 10/12/2002

Die zweite Vorstellung in der mit großer Zustimmung von Publikum und Kritik aufgenommenen „La Bayadère“-Einstudierung in der Premierenbesetzung vom Sonntag. Was kann John Neumeier zu diesem Import bewogen haben? Die globale Popularität dieser Natalia-Makarova-Produktion zwischen Santiago de Chile, New York und London? Die guten Erfahrungen Neumeiers in der Zusammenarbeit mit Makarova bei der gloriosen Hamburger „Giselle“? Die erhoffte Kosteneinsparung durch die Übernahme der Londoner Ausstattung?

Er hat damit jedenfalls der Hamburger Klassikerpflege einen Bärendienst erwiesen, denn die neue Hamburger „Bayadère“ widerspricht so ziemlich allem, was er über die Jahrzehnte von den Tschaikowsky-Klassikern bis zu „Giselle“ hin konsequent aufgebaut hat – sie widerspricht vor allem seiner sorgfältigen Klassiker-Revisionsdramaturgie (sehr vermisst: Angela Dauber) – und sie widerspricht vor allem und total seiner Ausstattungsästhetik (Bühnenbild und Kostüme von Pier Luigi Samaritani und Yolanda Sonnabend sind ganz an der überladenen 19. Jahrhundert-Ästhetik von Scala, Met und Covent Garden orientiert). Die neue Hamburger „Bayadère“ ist ein einziger Rückfall in Hamburger Vor-Neumeier-Zeiten. Wenn Peter van Dyk sie mit Hilfe eines Originalchoreografie-Assistenten inszeniert hätte, hätte sie wohl nicht viel anders ausgesehen – sie wäre bloß nicht so gut getanzt worden.

Denn das muss man Makarova lassen: Sie und ihre Assistentin Olga Evreinoff haben vorzügliche Einstudierungsarbeit geleistet: das Corps de ballet ist auf Hochglanz poliert worden – auch im berüchtigten Schattenakt (deren Auftritt durch die zu kurze Rampe längst nicht den grandiosen Eindruck macht wie in Berlin – die drei Ober-Bayadèren Joelle Boulogne, Catherine Dumont und Silvia Azzoni bedürften allerdings dringend einer besseren Koordinierung). Auch der – gegenüber Berlin verkürzte – Grand Pas wird bravourös getanzt (wenn auch nicht ganz so kristallinisch funkelnd wie in Berlin) und im Hindu-Tanz sorgen Otto Bubeníček und Niurka Moredo für ein furioses Hochschnellen der Spannungskurve – wie später nur noch das Solo des dramaturgisch überhaupt nicht integrierten Bronze-Idols von Arsen Megrabian (aber dann hapert es an allen Ecken und Enden mit der Dramaturgie und besonders in der wenig plausiblen Katastrophe des Schlussaktes – auch ist der Freund Solors als ein solch alter Zottel eingeführt, dass man den armen Peter Dingle überhaupt nicht wiedererkennt und bedauert, eine solche Rolle tanzen zu müssen – ihm wünschte man wirklich, er könnte in Berlin in der Rolle des Fakir gastieren).

Nein, hier ist Hamburg eindeutig ins Hintertreffen zu Berlin geraten – gerade auch im Hinblick auf die problematischen Pantomimen, die in Berlin viel selbstverständlicher und mit überzeugenderer Dignität ausgeführt werden. Noch ganz unter dem Eindruck der Souveränität von Diana Vishneva, Vladimir Malakhov und Beatrice Knop stehend, kann ich auch den Hamburger Top-Solistinnen Heather Jurgensen (Nikija) und Anna Polikarpova (Gamsatti) nur eine erzsolide, technisch einwandfreie Kompetenz in ihren Rolleninterpretationen bescheinigen – der sonst so geschätzte Jiří Bubeníček ist trotz seiner markigen Sprünge kein idealer Solor, dafür fehlt es ihm an genuinem Premier-Danseur-Adel. Ich kann mir indessen gut vorstellen, dass er in der Rolle durch den Hamburger Prinzen-Newcomer Aleksander Riabko übertroffen wird. John Neumeier wäre also gut beraten, bei seiner nächsten Klassiker-Einstudierung („Raymonda“, „Le Corsair“?) mit einschlägiger Assistenz für die Originalchoreografie-Passagen wieder zu sich selbst zurückzukehren!

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