Merce Cunningham Dance Company

Schraffuren im Raum

München, 30/10/2002

Zum Schluss kommt er doch noch auf die Bühne. Der 83- Jährige stellt sich, auf einen Stock gestützt und verschmitzt lächelnd, neben sein Ensemble. Es ist etliche Tänzergenerationen her, dass er die Kompanie im Sommer 1953 am Black Mountain College gründete. Das Jubeljahr verbringt die Merce Cunningham Dance Company (MCDC) auf Tournee; hier bereitet sie mit ihrem zweitägigen Gastspiel der Dance-Biennale im Gärtnerplatztheater einen markanten Beginn und kühlt das plüschige Ambiente des Gärtnerplatztheaters durch die klare Aura präziser, konzentrierter und dennoch höchst eindringlicher Bewegungssujets herunter. Den Anker erzählender, psychologischer oder irgendwie anders gestalteter logischer oder dramaturgischer Konzeptionen wirft Cunningham nicht.

Man sieht viele Arten von Bewegungen, die aus anderen hervorgehen, sich durch den Körper fortsetzen, auffächern in flinke Sprünge oder weite gekurvte skulpturale Formen. Der Fluss der Bewegung kann plötzlich abrupt stocken oder sanft in der Stille münden wie in „Native Green“ für drei Paare, dem 1985 entstandenen und damit ältesten Stück des ersten Abends, das von zwei Choreographien aus den letzten vier Jahren flankiert wird.

In „Pond Way“ (1998) zu Musik von Brian Eno drehen sich vor dem Hintergrundprospekt von Roy Lichtenstein („Landscape with Boat“) acht Tänzerinnen und fünf Tänzer in weißen fließenden, an den Innenseiten offenen Hosen und weiten Flatterärmelchen. Sanft wie im Tai Chi, mit weich nach oben gedrehten Handflächen und fließenden Gesten startet die Gruppe, um im weiteren Verlauf das Tempo anzuziehen und Sprünge in den unterschiedlichsten Varianten zu zeigen – mal hoher Froschsatz, mal kleines Hüpferchen auf einem Bein.

Wie Schraffuren im Raum agieren die 16 Tänzer und Tänzerinnen in „Loose Time“ vor einem Prospekt, der an eine 3D-Computergraphik erinnert. „Loose Time“ wurde erst im vergangenen Februar uraufgeführt und wie alle Stücke nach 1991 mit Hilfe des Computerprogramms „LifeForms“ erarbeitet. Zu den variablen Klängen von Christian Wolffs „Moving Spaces“ entfaltet sich ein dichtes, ungeheuer kompliziertes Bewegungsnetz, dessen Virtuosität aber nicht aufdringlich zur Schau gestellt wird. Fast mit jedem Schritt verändert sich der Fokus, Paare setzen mit langen Balancen Zäsuren in den rasenden Bewegungsfluss, Gruppen verschiedener Größe sortieren sich immer wieder neu, bis alle zu einem kurzen skulpturalen Schlussbild zusammenfinden. Standing Ovations für einen der größten Choreographen des modernen Tanzes.

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