Junge Choreographen

Neun Stücke von Tänzerinnen und Tänzern des Bayerischen Staatsballetts

München, 29/06/2002

Vier, die schon voriges Jahr dabei waren, und drei Newcomer beteiligten sich heuer an dieser Initiative, bei der alljährlich TänzerInnen des Bayerischen Staatsballetts eigene Choreographien vorstellen. Neun kleine Werke von sehr unterschiedlicher Länge zeigten so manches vom kreativen Potenzial, das in der Company steckt, und von der Passion, endlich autonom eigene Vorstellungen von Bewegung zu realisieren. Dafür haben die „jungen Choreographen“ und ihre tanzenden Kollegen neben dem harten Arbeitspensum der regulären Proben und Vorstellungen ihre Freizeit geopfert und erst in der Schlussphase ihrer Arbeit die nötige Unterstützung durch die Direktion bekommen. Es hat sich gelohnt: Viel Abwechslung im Akademietheater, eine durchgängig erfreuliche Qualität und lebhafter Beifall! Dass sich die Tänzer/Choreographen überwiegend in den Stilen bewegten, die sie aus ihrer erlesenen Repertoire-Arbeit kennen, ist nur natürlich.

Zum Auftakt allerdings wendete sich Marc Geifes in seinem Erstling „Aufzug für 2 Personen“ einer streckenweise turnerischen Auseinandersetzung mit Christopher Bruce auf kleinstem Raum zu. Mit einer präparierten Kiste inszenierte er, wie Boy und Girl in einem Aufzug stecken. Kurzzeitig führte das über den Aufzugsschacht hinaus in die Bühnenfläche, dann mündete das kleine Ganze in die Ausgangspose des Auf-den-Aufzug-Wartenden und zeigte, dass dies eine blitzschnelle Phantasie war, von Anita Hutchins und ihm selbst witzig vorgeführt zu Gute-Laune-Dancefloor-Music.

Maria Phegen wählte zum Einstand eine mediterrane Schwärmerei von Nelly Furtado und nannte ihr Stück „Lembrando o Cavalo Marinho“. Dazu choreographierte sie einen emotional erfüllten Bewegungsfluss, in den Schwünge und Hebungen a la Jiri Kýlian, weite Sprünge und schnelle Drehungen auf Spitze integriert sind. Der Ausführung sah man die kurze Probenzeit an, aber Fiona Evans und Maira Fontes brachten die interessanten Ansätze an der Seite von Peter Leung überaus anmutig ans Publikum.

Als dritter Newcomer versuchte sich Olivier Vercoutère mit „Recontre...“ an drei Chansons von Edith Piaf und Jaques Brel. Heraus kam ein stimmiger Aufbau nicht allzu origineller Schrittfolgen, von Marc Mondelaers und besonders von der ganz jungen Julia Bailet mit reizendem Laissez faire getanzt.

Peter Leung und Bruce McCormick zeigten jeder zwei Choreographien. Dabei war Leungs „Federico – Verzweiflung“ schwer zu beurteilen. Denn das von ihm selbst getanzte Solo war nur eine Kostprobe aus „Federicos Tänze“, einem Musiktheater-Stück über den mittelalterlichen Kindkönig aus Sizilien, das im August auf einem Freilichtschauplatz in Graubünden gezeigt werden soll. Weder die Auftragskomposition von Lorenz Dangel noch der Tanz ließen den Titel dieses Ausschnitts sinnfällig werden. Leungs durchaus eigen geprägtes Bewegungsvokabular kombinierte Elemente, die noch nicht optimal zusammenwirken. In seinem „D-AH-NCE TRIP TIK“ zu John Coriglianos „The Red Violin“ ließ er allerdings Musikalität und klares Formbewusstsein erkennen, erzielte mit geringen Mitteln schöne Bühneneffekte und verstand es, seine Tänzerinnen Katharina Sobotka, Irina Dimova und Cheryl Wimperis sehr gut aussehen zu lassen.

Bruce McCormick, der 2001 mit „The Great Gig in the Sky“ von Pink Floyd ein Publikums-Highlight geliefert hatte, verband zu Herberts „Foreign Bodies“ expressiven Modern Dance, Musical-Anleihen und Pop-Elemente so mühelos mit klassisch-akademischen Einsprengseln, dass durch das Tempo, das er dabei einschlug, nicht nur Virtuosität, sondern etwas für ihn Charakteristisches entstand. Auch in diesem Jahr stellte er seinem ersten Stück „Another Night“ ein zweites von völlig anderer Qualität gegenüber: Zu Anton Bruckners „Ave Maria“ zeigte er überraschende Kombinationen verschiedenartigster Sprünge und Drehungen, die ebenso dazu gehörten wie konzentrierte Stille, aus der kleine, höchst sinnfällige Bewegungen entstanden. McCormicks dreiminütiges „Ave“ war die kürzeste Choreografie des Abends, prägnant wie ein Haiku und zugleich die mit der ausdrucksvollsten und ausgeprägtesten eigenen Tanzsprache.

Nach „Lady Macbeth“ (2001) huldigte Valentina Divina ihrer Vorliebe für getanzte Miniaturdramen mit Claudio Monteverdis „Klage der Nymphe“. Dabei setzte sie in einer durchgängig organischen Gestaltung interessante Akzente gegen die Musik und behauptete mit schönen Phrasierungen und Posen eine gewisse Autonomie gegenüber dem Text, zumal sich Andrea Bernhard als Nymphe an der Seite von Matthiew Cranitch ihrer künstlerischen Mittel sicher war. Dennoch wirkt eine so enge Anlehnung des Tanzes an Gesang wohl immer problematisch. Wirklich?

Wie Divina setzte sich auch Norbert Graf mit Monteverdi auseinander, und zwar mit dem 1624 zur 25minütigen Kurzoper vertonten „Il Combattimento di Tancredi e Clorinda“ von Torquato Tasso. Hatten bis dahin Gruppentänzer die Gelegenheit zu glänzen, traten jetzt mit Valentina Divina, Lukas Slavicky und Judith Turos drei Solisten an. Grafs moderne Tanzsprache illustrierte nicht, sondern drückte dynamisch die innere Energie und Emotion aus, ließ aber auch Platz für statische Momente, die Spannungsverhältnisse verdeutlichten. Dank gekonnter Raumaufteiilung, klug eingesetzter Beleuchtung und pointierter Impulsivität erreichten die Tänzer eine Präsenz, die das Opus maximum des Abends für die gespannten Zuschauer zur konzentrierten Kurzweil machte.

Zwei völlig ausverkaufte Vorstellungen waren für dieses Programm eigentlich zu wenig!

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