An den eigenen Ansprüchen gescheitert

Heinz Spoerlis Zürcher Uraufführung

Zürich, 06/04/2002

Die soeben im Züricher Opernhaus uraufgeführte Choreografie „Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid“ von Heinz Spoerli kann durchaus als abendfüllendes Handlungsballett verstanden werden, wenngleich in ihr weder getanzte Dialoge, noch ein direkt zu lokalisierendes Geschehen zu erkennen sind. Spoerli versucht mit diesem Werk gewissermaßen eine Weiterentwicklung seiner erfolgreichen Düsseldorfer „Goldberg-Variationen“ aus dem Jahre 1993, in denen er aus lauter kleinen Ereignissen zwischen Menschen ein großes, abstraktes Ballett zusammenfügt hat. Das neue Stück handelt auf den ersten Blick von Engeln, in Wahrheit selbstverständlich aber von Menschen. Der Titel ist einem Gedicht von Andreas Sargos entlehnt.

Es geht um den Widerstreit zwischen dem Dunkel und der Helligkeit, um Leiden und um Hoffnung, um Sehnen und Erfüllung. Und am Ende, wenn die Sehnsucht der Engel nach der gemeinsam mit den Menschen erlebten Liebe übermächtig wird, bleibt als Metapher für die Unerreichbarkeit des Unmöglichen ein Tänzer, der kopfüber mit ausgebreiteten Armen im Bühnenraum hängt, als sei er das in unserer Zeit pervertierte Kruzifix. Und gerade diese Szene, die wohl die eindringlichste des Abends werden sollte, demonstriert am deutlichsten, dass Spoerli an seinem eigenen Anspruch gescheitert ist. Er verlässt sich nämlich nicht mehr, anders als in den „Goldberg-Variationen“, auf die Kraft seiner choreografischen Erfindungen, sondern er fummelt und trickst, um seiner Botschaft Nachdruck zu verleihen.
Bevor der Tänzer in die Höhe gezogen wird, beschäftigen sich drei seiner Kollegen lange Zeit überaus störend mit den Montagearbeiten für die Seile an seinen Beinen. In einer anderen Szene tritt eine Tänzerin mit leuchtenden Streifen an ihrem Trikot auf, für deren Stromversorgung sie mit einem langen Kabel ausgestattet ist, die Engel gleiten in Fahrstühlen herunter und hinauf, fluoreszierende Kleidung, eine reichlich alberne Revueeinlage, Videosequenzen - das alles schwächt das Stück, anstatt ihm zu helfen.

Wenn Heinz Spoerli nur tanzen lässt, dann ist sein neues Werk so bewundernswert wie viele seiner besten. Die wispernde und revoltierende Musik der Zeitgenossen Erkki-Sven Tüür, David Lang, James MacMillan und John Adams, vom Opernorchester unter Christoph König suggestiv gespielt, wird durch einige der „Frühen Lieder“ von Alban Berg miteinander verknüpft, die von der Sopranistin Luba Chuchrova auf der Bühne gesungen werden. Viele Ensembletänze, der Pas de deux der „lichten Engel“ Karine Seneca und Dirk Segers zu Tüürs „Passion“, das Ringen der dunklen und hellen Mächte Michael Rissmann und Akos Sebestyen um die leidende Frau Ana Quaresma zu Bergs „Traumgekrönt“ etwa sind große Würfe des Genres.

Aber sie können nicht das gekünstelt und verspielt Überdimensionierte des Abends verdecken, zu dem namentlich auch die zahllosen glitzernden Kostüme für die Damen (Claudia Binder) beitragen. Das Bühnenbild von Florian Etti stellt Spoerli eine gewaltige, nach innen gewölbte Wand in der Art eines kolossalen Schneepfluges zur Verfügung, die er weidlich dazu benutzt, die Tänzer an ihr emporrennen und sich an ihrem oberen Rand festklammern zu lassen. Ein brillanter Effekt, nur eben nicht mehr nach seiner hundertsten Wiederholung. Alles in allem ist dies also ein zu sehr der oberflächlichen Wirkung vertrauendes Werk. Aber wie man Spoerli kennt, ist er ja einer, der sich nicht scheut, immer wieder Hand an seine Stücke zu legen. Nur zu!

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