Hans van Manen zum siebzigsten Geburtstag

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Stuttgart, 11/07/2002

Alle Tanzwelt liebt Hans van Manen. Na ja, vielleicht nicht die ganze (die Amerikaner zum Beispiel halten sich da eher bedeckt, aber das tun sie auch im Falle Kylián und Neumeier – dafür teilen wir ihre Vorliebe für Mark Morris nicht so unbedingt) – wohl aber die europäische und ganz besonders die deutsche. Ob Düsseldorf, Köln, Berlin, Stuttgart oder München (in dieser Reihenfolge ging die deutsche van Manen Rezeption vonstatten): Hier ist er unbedingt Favorit, bei Tänzern, beim Publikum und – in seltenem Einvernehmen – so ziemlich ausnahmslos sogar bei allen Kritikern (bei Jochen Schmidt sowieso).

Das war so von Anfang an, als wir schon in den frühen sechziger Jahren von Köln aus zu allen seinen Premieren beim jungen NDT nach Den Haag und Amsterdam fuhren, als die Kompanie zu ihren ersten Gastspielen in Deutschland erschien, und als er bei uns seine ersten Ballette einzustudieren begann. Und daran hat sich bis heute nichts geändert - nur dass seine Besuche bei uns seltener geworden sind (was uns gerade in Stuttgart besonders wurmt, wo Reid Anderson offenbar nicht ganz die Van-Manen-Vorliebe seiner Vorgängerin teilt – aber man kann natürlich auch argumentieren, dass die Choreografen-Palette in Stuttgart unter Anderson wesentlich breiter geworden ist).

Was macht ihn so beliebt – außer seinem persönlichen Charme? Wenn ich da für mich sprechen darf: sein erstes Glaubensbekenntnis – der Tanz ist der Tanz ist der Tanz (und keine Quasselei); sein zweites Glaubensbekenntnis – die Danse d‘école als unverzichtbare Basis allen künstlerischen Bühnentanzes (was ihn nicht daran gehindert hat, sie zu öffnen für den Einstrom und die Anverwandlung auch der nicht klassisch-akademischen tänzerischen Schulen und Stile); sein drittes Glaubensbekenntnis: die geradezu blutsmäßig engen verwandtschaftlichen Bande zwischen dem Tanz und der Musik sowie sein viertes Glaubensbekenntnis zu unbedingter Klarheit und Übersichtlichkeit (ohne alle Fisimatenten). Das sind die vier van Manenschen Confessiones, die er mit Balanchine teilt (den ich nach wie vor für den größten aller Choreografen halte – und mich beglückwünsche, dass ich nicht in einem Vor-Balanchine-Zeitalter geboren bin, denn das wäre für mich das Unglück einer zu frühen Geburt gewesen).

Hinzu kommt aber noch etwas, was ich so persönlichkeitsbestimmend ausgeprägt nur bei van Manen und bei keinem anderen Choreografen finde: seine Kunst, Geschichten zu erzählen, die nur Tanz und nichts als Tanz sind – die sofort in sich zusammenfallen, wenn man versucht, sie in Worte zu fassen. Das ist sein ganz persönliches Geheimnis, dass er es versteht, auch den abstrakt-konzertanten Tanz zu humanisieren, mit warm pulsierender Menschlichkeit zu füllen. Auf diese Weise aber hat er auch den tanzsensiblen mündigen Ballettzuschauer emanzipiert, der aufgerufen ist, in seinen storylosen Balletten die Story hinter dem Tanz zu entdecken – das Ballett gewissermaßen in seiner Fantasie zu vollenden. Zu seinem heutigen siebzigsten Geburtstag wünsche ich ihm und mir, dass er noch lange in der Lage ist, auch weiterhin so tolle Ballette zu choreografieren, die ich in meiner Fantasie zu meinen eigenen zu machen aufgerufen bin. Mit anderen Worten: van Manen hat mich zu seinem Partner gemacht.

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