Grandiose Maria Eichwald und zahlreiche Debuts

Die „Schwanensee“-Wiederaufnahme des Bayerischen Staatsballetts gleicht einem erneuten Generationswechsel

München, 23/05/2002

Es ist schon imponierend, wie die Company nach all den neoklassischen Vorstellungen und so kurz nach ihrer Italien-Tournee mit Ray Barras „Schwanensee“-Version zurecht kam. Etwa die Hälfte der Gruppentänzer war bei dieser nach drei Jahren erfolgten Wiederaufnahme neu, und als sie am 8. Mai ohne Bühnenprobe lostanzen mussten, war die Nervosität verständlich, die die gewohnte Eleganz des Corps verhinderte. Dies war nicht die ideale Folie für Roman Lazik, der als Siegfried debutierte.

Erst bei Maria Eichwald, die erstmals die Verlobte tanzte, war plötzlich alles da: Musikalität, Persönlichkeit und Liebreiz! Mit ihrer Realisation stilspezifisch-duftigen Tanzes hat Maria Eichwald nicht nur für die Rolle der Verlobten das Maß der Dinge vorgegeben. Sie schien auch die positive Spannung aufzubauen, in der die Gruppe bereits im Verlauf der ersten Vorstellung zu einer soliden Leistung fand.

Zu solcher Spannung hat Lisa-Maree Cullum als Odette/Odile wenig beigetragen. Während sie technisch souverän tanzte, durchlief sie in ihrem seriösen Bemühen um klare Darstellungsakzente die Bewegungen ohne sichtbare Phrasierung. Das Feingliedrige, mehr noch das Feinsinnige, die Inspiration durch Petipa/Iwanov/Tschaikowsy fehlte, und so berührte das Schicksal der eher sportiv verkörperten Schwanenkönigin leider wenig.

Schön aber die Vier Kleinen und besonders die Zwei Großen Schwäne (Sherelle Charge und Michelle Nossiter) in ihrer groß schwingenden Einheit. Roman Lazik wirkte in seinen Pantomimen noch manchmal introvertiert markierend, entfaltete aber bereits Qualitäten, die es als sicher erscheinen lassen, dass er zu einem erstklassigen Prinzen heranwächst. Seine Sprünge sind sehr hoch, sehr weit, nach schönem Flug stets samtweich landend, seine Drehungen und Balancen sicher, immer integriert in eine langfließende Linie. Als Partner strahlt er sichere Ruhe aus.

Altmeister Kirill Melnikov beeindruckte als debutierender Zauberer Rotbart: Dominant, dynamisch, an manchen Stellen virtuos war er als ein kraftvoll-dämonischer Mann präsent, in stilsicher formalisierter Hochspannung natürlich agierend. Außerdem erfreulich: Flore Benoit hat sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes als Italienische Prinzessin zurückgemeldet, und Laure Bridel-Picq debutierte Spanische Prinzessin.

Das Glück wirklich packender Schwanenseen stellte sich in der dritten und vierten Vorstellung mit Maria Eichwald und Alen Bottaini ein, als dieser Klassiker zu einem durchgängigen Film wurde, den das gesamte Ensemble trug. Für diese Leistung sei ein Erklärungsversuch gewagt: Der Schwanensee ist Maria Eichwald offensichtlich heilig, und das springt über! Man merkt, dass Eichwald jedes stilistische Detail studiert hat und die Musikalität mit jeder Faser ihres Körpers realisiert. Da technische Barrieren für sie nicht existieren, wird sie zum Medium für das, was über sie hinaus weist. So erlebt man – auch in Barras psychologisierender Fassung – die „Schwanensee“-Spezifika und ist gebannt, ergriffen, man lächelt, wenn nach der bezwingenden Variation Odettes die geniale Lockerung durch die Kleinen Schwäne folgt, versteht die Architektur der Choreographie und genießt sie in allen ihren Teilen. All das hängt ab von der Schwanenkönigin und ihrem schwarzen Gegenbild Odile.

Daneben war Alen Bottaini (mit leichten Unebenheiten beim Partnern) ein Siegfried, der seine gedanklichen Abwege in impulsiver Bewegung ausdrückt und den Zuschauern stets seinen inneren Text vermittelt. Er ließ die Virtuosität, mit der er gegen Ende auftrumpft, durch das Stück hindurch organisch wachsen, verkörperte ein starkes Zentrum und trat nur hinter seine Ballerina galant zurück. Auch dass Norbert Graf als routinierter Rotbart seine Wirkung auf ihn geradezu telekinetisch gestaltete, steigerte die Wirkung.

 Zusätzlich debutierte mit Lukas Slavicky am 16. Mai ein Benno, der nicht nur mit seiner jungenhaften Frische ein absoluter Sympathieträger ist, sondern mit seiner Spring- und Drehfreudigkeit, seiner Zentriertheit und seinen sauberen Positionen die starke Technik russischer Schule bewies und sich für die nächste Spielzeit als Prinz empfahl. Michelle Nossiter stand am 13. Mai als Verlobte natürlich noch im Schatten von Maria Eichwald, bewies aber am 18. Mai bei ihrem Debut als Italienische Prinzessin, dass Technik und Temperament sie als sehr gute Demi-caractère-Tänzerin ausweisen. An diesem fünften Vorstellungsabend mit Lisa-Maree Cullum und Oliver Wehe war Sherelle Charge eine zart errötende Verlobte, die sich ihrer künstlerischen Mittel sicher ist, risikofreudig tanzte und zu einer gewinnenden Darstellung fand. Mit Alexandre Vacheron erkundete ein weiterer sprungstarker Rotbart seine neuen Wirkungsmöglichkeiten.

Da in dieser Serie auch die Russische, die Italienische und die Spanische Prinzessin sowie der Pas de six mehrfach neu besetzt waren, ist der Münchner Schwanensee jetzt wirklich aufgefrischt. Dabei bestätigte das Bayerische Staatsballetts seinen Ruf als beste klassische Kompanie in Deutschland. Man darf gespannt sein, wenn in der nächsten Spielzeit die neuen Solisten dazukommen.

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