Kollektiver Taumel

Die Gala des Béjart Ballet Lausanne in Baden-Baden

Baden-Baden, 24/01/2002

Maurice Béjart ist out – die deutsche Kritik hat nichts mehr für ihn übrig, seine Werke werden hier praktisch nicht mehr aufgeführt (was sicher auch daran liegt, dass der Meister seine Ballette kaum noch an fremde Kompanien vergibt). Das hindert seine zum Kult neigende Anhängerschaft freilich nicht daran, ihn heftig zu feiern, wie bei diesem als Gala titulierten Ballettabend. Denn obwohl der scheinbar in allen Philosophien belesene Béjart schon immer ein Universalkünstler war, wirkt sein Ballett nicht kopflastig, sondern verströmt noch immer den alten Sturm und Drang, die Urkraft des Tanzes. Ohne dass sich sein Schrittrepertoire je zu wiederholen scheint, was manchen jüngeren Kollegen schon nach kurzer Zeit passiert.

In „Tango“, einem Ausschnitt aus „Notre Faust“, eröffnete der 75-jährige Béjart mit französischen „Faust“-Zitaten den Abend höchstpersönlich. Goethe wird hier zu argentinischen Tangos vertanzt, Faust und Mephisto verdoppeln und verdreifachen sich als zornige junge Männer. Auch der spannungsgeladene Pas de deux „Juan y Teresa“ für Gil Roman und Elisabet Ros kombiniert das Unmögliche: Flamenco-Musik und die Mystik. Die flammende Intensität von Gil Roman erinnert dabei immer mehr an Jorge Donn. „Elton – Berg“ ist ein interessantes, aber eher akademisches Experiment, bei dem die gleiche Choreografie erst auf drei Altenberg-Lieder von Alban Berg und dann auf einen Popsong von Elton John getanzt wird. Im „Prélude à l'après-midi d'un faune“, einer stark auf die erwachende Sexualität bezogenen Version des Klassikers, blieb Octavio Stanley zu distanziert, um wirklich den inneren Spannungsbogen durchzuhalten.

Eine Art Béjartsches Divertissement, klassischer und unverbindlicher, sind die „Sept danses grecques“ aus dem Jahr 1983 zu Musik von Mikis Theodorakis. Griechenland wird nur in seinen Naturgewalten angedeutet – der blaue Himmel, das helle Licht, das Rauschen des Meeres. Victor Jimenez, der exzellente Gast vom Madrider Ballet Victor Ullate, hob sich als Solist mit seinem klassisch gemeißelten Körper von den schmalen, schlanken Béjart-Tänzern ab, die immer irgendwie aussehen, als hätten sie ihre athletischen Sprünge und ihre stolze Haltung direkt auf der Straße gelernt. Béjart liebt die Sinnlichkeit des Männerkörpers – praktisch der ganze Abend wurde mit nacktem Oberkörper getanzt.

Er ist überhaupt ein sehr sinnlicher Choreograf, der den Körper nicht möglichst kunstvoll verbiegt oder in möglichst abstrakte Linien anordnet, sondern der die elementare Lebenskraft hinter den Bewegungen freilegt. Er greift einzelne Elemente aus dem Stilvokabular von Flamenco, Sirtaki oder Kabuki auf und überhöht sie, verfremdet sie verdunkelt sie, sucht den Sinn darin. Béjarts Bewegungen tragen noch eine direkte Bedeutung in sich und sind nicht abstrakt wie die der allermeisten aktuellen Choreografen. Die flehenden, anklagenden, pulsierenden Hände seiner Tänzer zum Beispiel sind ein wichtiges Ausdrucksmittel. Béjart erlaubt das Pathos noch, das Forsythe und Co. schon so lange abgeschafft haben, erlaubt es nicht nur, sondern erschafft es immer wieder neu – mit seinem Sinn für Posen und Bilder, in den großartigen Effekten, die er liebt, und im kollektiven Taumel, mit dem viele seiner Stücke enden. Vielleicht ist er mit seiner Liebe zur Schönheit, mit seiner Neigung zum Dunkel und zum Rausch der letzte romantische Choreograf.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern