Vor Ballettglück ganz aus dem Häuschen

Drei Werke von Jiri Kylián beim Bayerischen Staatsballett

München, 04/12/2002

Auf dem Papier sieht die jüngste Premiere des Bayerischen Staatsballetts lediglich wie eine vernünftige Arrondierung des Repertoires der Truppe mit Choreografien von Jiri Kylián aus, dessen Meisterwerke, und sie sind es Stück für Stück, für jede Compagnie diesen Zuschnitts und ihr Publikum unverzichtbar sind. Aber wenn schließlich der Vorhang des Nationaltheaters nach dem letzten Werk wieder und wieder geöffnet werden muss, um die Tänzer und den Choreografen den für Münchner Verhältnisse geradezu tumulthaften Ovationen der Zuschauer auszuliefern, dann kann Ballettchef Ivan Liska nicht nur auf ein künstlerisches Ereignis ersten Ranges stolz sein, das sich weit über dramaturgische Erwägungen erhebt, sondern auch auf seine Tänzerequipe, die sich in bester Verfassung gezeigt hat.

Schon im einleitenden, urwüchsigen „Svadebka“ (1982), das seit zehn Jahren zum Repertoire gehört und jetzt wiederaufgenommen wurde – Kylián hat die Endproben des gesamten Abends geleitet – besticht das weibliche und männliche Corps mit einer tänzerischen Verve und einer Homogenität, die Staunen machen. Igor Strawinskys „Les Noces“, sie kommt als einzige Musik vom Band, die das von Furcht und Begierde bestimmte Erleben der Stunden vor der Hochzeit eines jungen Paares (Kusha Alexi und Robert Graf) schildert, erfährt hier eine Interpretation, deren Intensität ihren Betrachtern buchstäblich das Herz zusammenpresst.

Die beiden anderen Ballette sind Münchner Erstaufführungen. Zuerst „Bella Figura“ (1995) zu unterschiedlicher Barockmusik und in Kostümen von Joke Visser. Diese Arbeit ist ein singuläres ästhetisches und emotionales Erlebnis. Paare treffen sich zu überirdisch schönen Begegnungen, deren harmonische und behutsame Bewegungen von einem ungewissen Bangen bestimmt scheinen. Sie wirken wie von fremder Hand geleitet, trauen dem nicht, was sie erwartet und geben sich ihm doch hin. Vorhänge senken und heben sich, verengen die Lebensräume der Menschen und öffnen ihnen neue. Bis eine Tänzerin, nur mit einem bauschigen, roten Rock bekleidet, wie ein Katalysator auftritt und die Szene verändert. Nun tun es ihr alle gleich und finden ihren eigenen Weg und am Ende zu einer innigen Verbundenheit, die ihnen ewigen Frieden schenkt. Man wagt kaum zu atmen aus Furcht, dieses Sterben in Vollkommenheit zu entweihen.

Dann „Sechs Tänze“ (1986) zu Mozarts charmanter Tanzbodenmusik KV 271. Das ist ein Rausschmeißer! Eine Viertelstunde lang gehen sich vier Paare in barocker Wäsche an dieselbe, exaltierte Frauenzimmer erwehren sich zickig der amourösen Attacken der jungen Burschen und fordern sie im nächsten Moment handgreiflich heraus. Es wird geeifersüchtelt und gemeuchelt, dass es nur so eine Art hat, im Hintergrund werden die Leichen entsorgt, Herzeleid und Liebesglück in gewaltigen Portionen, und aus den Perücken staubt der Puder dicken Wolken. So dreist kalauernd und entfesselt, seine Tänzer in wilden Horden über die Bühne scheuchend, haben wir Kylián nie zuvor erlebt.

Zwar lässt er zuweilen durch ein Donnergrollen ahnen, dass es auch einmal anders kommen kann, aber schnell tut wieder der Heurige sein launiges Werk. Das Publikum lacht sich die Lungen aus den Hälsen und auch die Tänzer sind offensichtlich vor Ballettglück ganz aus dem Häuschen. Am Pult des Staatsorchesters in beiden Stücken souverän und animierend: Gabriel Feltz.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern