„All Shall Be“, „Sinfonie in C“, „Große Fuge“ und „Deja vu“

Ein schönes Tanzpäckchen

Zürich, 22/12/2001

Der Züricher Ballettdirektor Heinz Spoerli hat seinem Publikum zum Fest ein richtig schönes Tanzpäckchen unter den Weihnachtsbaum gelegt, bis zum Rand gefüllt mit kleinen und großen Kostbarkeiten, an denen es noch lange seine Freude haben dürfte. Zunächst als schweizerische Erstaufführung Spoerlis eigenes „All Shall Be“ zu Bachs berühmter Suite D-Dur BWV 1068, das im Juni bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen uraufgeführt worden ist. Nun, choreografisch leicht überarbeitet und personell ein wenig aufgestockt, hat es viel von seiner etwas leichtfertigen Lausbuberei verloren und an künstlerischer und tänzerischer Seriosität gewonnen. Das bekommt dem Stück, aus dem die animierende Fröhlichkeit der strahlend schönen Ana Quaresma im schaukelnden Krinolinengestell, die koboldhaften Sprünge des fantastischen Nicolas Blanc und die kleine Salsa-Einlage von Karine Seneca und Michael Rissmann im ernsten Pas de deux des populären „Air“ wie kleine Diamanten hervorfunkeln. Dazu das kristallklare Musizieren des Opernorchesters unter Michael Christie – die Züricher können sich glücklich schätzen.

Das gilt noch mehr für die abschließende „Sinfonie in C“ von George Balanchine aus dem Jahre 1947, deren perfekte Einstudierung übrigens Patricia Neary besorgte, die eine der führenden Ballerinen von „Mister B.“ war und auch schon Ballettdirektorin in Zürich. Dieser glitzernde Geniestreich neoklassischen Balletts zur moussierenden Musik des bei ihrer Komposition erst siebzehnjährigen Georges Bizet ist, so leichtfüßig und galant er sich für das Publikum ausnimmt, eine gnadenlose Prüfung für die Technik und nicht zuletzt die Kondition einer Compagnie. Seine symmetrischen, von Satz zu Satz sich verändernden Strukturen offenbaren selbst geringste Fehler.

Was Sprüngli für die Pralinen, das ist diese Choreografie für den Tanz, freilich zum Glück von weitaus längerer Haltbarkeitsdauer: feinste Rezeptur, delikat abgestimmt, jede Zutat unverzichtbar und ein Genuss von der ersten bis zur letzen Minute. Die Züricher Truppe, die im Finale in immer neuen Wellen geradezu die Bühne überschwemmt, tanzt exzellent. Nicht nur die Solisten Lara Radda und Stanislav Jermakov, Karine Seneca und Dirk Segers, Yen Han und Francois Petit, sowie Ana Quaresma und Jozef Varga, sondern namentlich auch das Corps, sowohl der Damen als auch der Herren.

Claudia Binders augenkitzelnde Kostüme und Hans Schavernochs riesiges Bühnenbildfoto des Palais Garnier tun ein Übriges – ein Glanzstück, an dem sich übrigens bald auch Stuttgart versuchen will. Zwischen diese Schauer seligen Tanzvergnügens hatte Spoerli zwei Meisterwerke von Hans van Manen gebettet, die einzigartige „Große Fuge“ zur Orchesterfassung von Beethovens op. 113 (wie immer bei van Manen vom Band), in dem sich je vier Damen und Herren in einen wohl geordneten Geschlechter-Wettstreit begeben, den sie am Ende, erschöpft zwar, aber wohl doch erfolgreich, beilegen, wobei die Herren für diese Partien noch etwas zu jung erschienen, und den Pas de deux „Deja vu“ zu Arvo Pärts Fratres, eine von des Holländers großen Paar-Disputen, die außer ihm niemand so packend darstellen kann. Tadellos Karine Seneca und Dirk Segers. Dieser Ballettabend lohnt selbst weite Reisen. Nicht nur seiner choreografischen Qualität wegen, sondern auch, weil Zürich inzwischen ohne Zweifel auf höchstem internationalen Niveau tanzt.

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