„La fille mal gardée“ (Heinz Spoerli), Erstaufführung

Ein feines, geschmackvolles Vergnügen

Zürich, 02/09/2001

Das Handlungsballett „La fille mal gardée“ („Die schlecht behütete Tochter“), im Jahre 1789 von Jean Dauberval in Bordeaux choreografiert, gehört zu den ältesten dieses Genres. Von seiner originalen Fassung ist so gut wie nichts mehr bekannt. Es hat unzählige Versuche gegeben, dieses heitere Stück zu restaurieren. Als gelungenster gilt die Version Frederick Ashtons, die jüngst auch in Stuttgart mit außerordentlichem Erfolg gezeigt worden ist, und mit der die Truppe am 27. September die neue Saison eröffnen wird.

Heinz Spoerli hat im Jahre 1981 in Basel eine gründlich revidierte Produktion erarbeitet, die sowohl Teile der früheren Musik von Ferdinand Herold und der späteren von Peter Hertel verwendet, als auch auf die vorrevolutionäre Situation bei der Uraufführung Bezug nimmt. Jetzt ist das Werk bei Spoerlis Züricher Ballett erstaufgeführt worden.

Es geht um das Bauernmädchen Lise und seinen Geliebten Colas, die Lises Mutter mit List und Tücke die Hochzeit abtrotzen und damit deren Kandidaten, den einfältigen Gecken Alain, ausstechen. Wo Ashton in typisch britischer Art einen derben Gag auf den anderen setzt und das Publikum zu Lachsalven reizt, da lanciert Spoerli schweizerisch-vornehm elegante Pointen, die schmunzeln machen. Wo Ashton Lise ein gewitzt-charmantes Mädchen sein lässt, da demonstriert Spoerli einen Generationenkonflikt zwischen der widerborstig-emanzipierten Tochter und der hilflos-besorgten Mutter. Mehr Spaß hat man zweifellos bei Ashton.

Dafür erfreuen Spoerlis dezente Hinweise auf den bevorstehenden Sturm auf die Bastille in Form wachsamer Soldaten und eines von unerhörten Vorgängen in Paris berichtenden Bänkelsängers, seine kleinen Erinnerungen an die „Fille“-Tradition, etwa mit einem kurzen Bändertanz. Aber er löckt auch wider den Stachel, wenn er zum Beispiel beim beliebten Holzschuhtanz die Mutter, die auch in Zürich en travestie gegeben wird, im ersten Akt die Holzschuhe nicht an-, sondern ausziehen und sie auf Spitze tanzen lässt, sie im zweiten Akt dann doch in Klompen tanzt, aber beide Male nicht zu Herolds Musik, deren Thema jedoch vor- und nachher zu hören ist.

Die Stars des Abends sind Dirk Segers als hinreißend spielende und tanzende tüttelige Mutter und François Petit in der Partie des Alain, den Spoerli glücklicherweise nicht, wie Ashton, als kompletten Deppen anlegt und der fast so berückend fliegt wie der unvergessene Martin Schläpfer zu Basler Zeiten. Lara Radda und Stanislav Jermakov in den Hauptpartien hingegen sind fehlbesetzt. Sie tanzen zwar gut, aber sie ist entschieden zu spröde für diesen Charakter, während ihm beinahe alle darstellerischen Fähigkeiten abgehen – ein glanzloses Paar in Paraderollen. Vielleicht hätte Spoerli, wie er das früher oft erfolgreich getan hat, besser zwei jungen, unverbrauchten Corpstänzern eine Chance geben sollen. Dafür ist das Corps bestens aufgelegt und erfüllt Heinz Balthes' weiträumiges, etwas unterkühltes Bühnenbild mit viel Leben, wozu auch Heinz Berners luftige, pastellfarbene Kostüme ein gerüttelt Maß beitragen. Davor Krnjak am Pult des ordentlich spielenden Musikkollegiums Winterthur ist ein Dirigent, der höchst aufmerksam auf jedes Bühnengeschehen reagiert. Wer es nicht gar so knallig mag, für den ist diese Züricher „Fille“ jedenfalls ein feines, geschmackvolles Vergnügen.

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