Wuppertaler Berg- und Talfahrten

Pina Bausch zu ihrem morgigen 65. Geburtstag

oe
Stuttgart, 26/07/2005

Ich gestehe, dass ich an meine erste Begegnung mit ihr keine Erinnerung habe. Das muss also beim Essener Gastspiel mit Henry Purcells „Die Feenköngin“ anlässlich der Schwetzinger Festspiele 1959 der Fall gewesen sein, denn da informiert mich das Programm aus meinem Archiv: Choreografie Kurt Jooss und unter den Mitwirkenden Pina Bausch, zuerst als Echo-Nymphe und dann noch einmal als Liebesklage (sonst noch mit dabei unter den zahlreichen anderen Tänzern Winfried Krisch, Roger George und Anne Woolliams, sowie, als einziger Überlebender, Ulrich Roehm). Damals war sie also gerade achtzehn (und oe bereits reife 32)!

Dagegen erinnere ich mich noch gut an ihr Debüt beim Kölner Choreografischen Wettbewerb 1969, wo sie mit ihrem „Im Wind der Zeit“ den ersten Preis holte. Toll begabt, fanden wir das damals. Und sahen unsere Hoffnungen voll bestätigt bei ihren Wuppertaler Gastchoreografien mit „Übungen für Tänzer“ und dem Bacchanal in der „Tannhäuser“-Neuinszenierung von 1971 und 1972. Bei ihrer ersten Kreation für das von ihr als neubestallte Chefin in Tanztheater Wuppertal umbenannte Wuppertaler Ballett „Fritz“ versagte ich ihr allerdings meine Gefolgschaft, ihre musikalische Mahler-Schlächterei ging mir – ein bekennender Balanchine-Fan – entschieden auf die Nerven. Umso verblüffter war ich dann über die Musikalität ihrer wenige Monate später im gleichen Jahr 1974 herausgebrachten Inszenierung von Glucks „Iphigenie auf Tauris“ als moderne Tanzoper. Damit begann sozusagen meine Wuppertaler Berg- und Talbahnfahrt zwischen Bewunderung und Bestürzung.

Denn es ging immer hin und her mit meiner Reaktion auf ihre Kreationen, von denen ich keine ausließ, auch nachdem ich 1977 von Köln nach Stuttgart übergesiedelt war. Ganz und gar nicht befreunden konnte ich mich mit ihren musikalischen Collagen zwischen den Zeiten und Stilen. Geradezu Höllenqualen litt ich dann beim ständigen Rückspulen der Tonbandeinspielung von Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“. Andererseits war ich hingerissen von ihrer Version des „Sacre du printemps“ – und auch ihre Inszenierung von Weills „Die sieben Todsünden“ fand ich um Klassen all den vielen Versionen überlegen, die damals en vogue waren (unter anderen von Tatjana Gsovsky, Maurice Béjart und Kenneth MacMillan – nur Grita Krätke in Ostberlin konnte da mithalten – und allein die Fotos aus New York genügten mir, froh darüber zu sein, die Revue-Vulgarisierung von Balanchine und Ter-Arutunian beim New York City Ballet nicht gesehen zu haben).

Dann kamen ihre vielen, bis heute anhaltenden Reiseballette – oh, Gott: natürlich Tanztheaterstücke, die choreografische Sublimation ihrer lokalen Eindrücke auf den nicht abreißenden Tourneen ihrer Kompanie rund um den Globus, die sich mir im Rückblick zu einer tänzerischen globalen Kosmologie ausweiten, die in ihren Dimensionen alles übertrifft, was sich unsere Musiktheater-Visionäre von Richard Wagner bis Karlheinz Stockhausen in ihren Träumen ausgedacht haben. Deren Ergebnisse fand ich höchst unterschiedlich, und mit ihrem kunterbunten Musik-Mix habe ich mich bis heute nicht befreunden können. Dagegen habe ich mit ausgesprochenen Vergnügen beobachtet, wie mit ihrem zunehmenden Alter der Tanz – oder zumindest, was ich unter Tanz verstehe – in ihre früher so markant von außertänzerischen Elementen bestimmten Produktionen zurückgefunden hat. Diese, von vielen Kollegen äußerst skeptisch beurteilte Entwicklung werte ich ausgesprochen positiv. Und deswegen freue ich mich heute wieder auf jede Bausch-Produktion.

Martha Graham, offenbar eine von ihr aufrichtig bewunderte Galionsfigur des Modern Dance, kreierte noch als Achtzigjährige „Lucifer“ für Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew. Da auch bei der nunmehr fünfundsechzigjährigen Pina Bausch noch keinerlei Abnutzungserscheinungen erkennbar sind, dürfen wir wohl auch für ihre weitere Karriere auf weitere Überraschungen gefasst sein. Nach meinen jüngsten Erfahrungen in Wuppertal würde ich sie derzeit in den oberen Etagen meiner Bewunderung platzieren – auch wenn ich, altmodisch wie ich nun einmal bin, sie doch eher dort platzieren würde. Meinen Glückwunsch nach Wuppertal – und möge sie mich auch weiterhin musikalisch so penetrant enervieren!

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