„Wedding Afterparty – bis“ von Polski Teatr Tancá und bodytalk 

„Wedding Afterparty – bis“ von Polski Teatr Tancá und bodytalk 

Digitale Hochzeit

Polski Teatr Tancá und bodytalk veröffentlichen gemeinsamen Film auf Youtube

Zwischen exaltierter Aufgeregtheit und Bedrohlichem: „Wedding Afterparty – bis“ heißt der Film und ist eine Neuauflage einer Produktion des Poznaner Tanztheaters von 2017. Bodytalk hat Szenen aus den Münsteraner Probenräumen zugeliefert.

Poznan / Münster, 22/11/2020

Das Polski Teatr Tancá (PTT), also das Polnische Tanz Theater in Poznan, und die Münsteraner Kompanie Bodytalk verbindet eine langjährige Freundschaft. 2014 hatte man zum ersten Mal kooperiert und koproduziert. „Jewrope“ war ein bildgewaltiger Tanzabend zur deutsch-polnischen Geschichte der Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg und den Erinnerungspolitiken daran. Ein Abend mit Menschen aus Koffern, nackten Körpern im Stacheldraht und literweise Milch, welche die Tanzenden in der Gegend herumspuckten. 2019 schickten beide Theater zusammen „Solidarnoc | Good night, solidarity | Solidaritot“ auf die Bühne und wieder ging es um aktuelle Diskurse und Geschichte. Der Aufbruch und Kampf im Polen der 1980er für Freiheit und Demokratie wird kontrastiert mit den illiberalen Grundströmungen der katholischen polnischen Gesellschaft und ihren Angriffen auf die Rechte von Homosexuellen und Migrantinnen und Migranten. Lech-Bierkisten als Anspielung auf den großen Wałesa und zerrupfte Salatköpfe machen die Bühne zu einem surrealen Ort der Anklage.

2020 wiederum gibt es ganz andere Proteste. Die Bühnen bleiben derweil hygienisch leer und daher kam das PTT darauf, eine Produktion von 2017 noch einmal aufzulegen als Online-Tanzfilm – mit Aktualisierungen. „Wedding Afterparty – bis“ heißt der Film, der seit Samstagabend bei Youtube zu sehen ist, und zu dem Bodytalk einige Szenen aus den Münsteraner Probenräumen zugeliefert hat. Das geht immerhin noch. Die 2017er Inszenierung „Wedding Afterparty“ von Marcin Liber mit Choreografien von Iwona Pasińska nimmt sich mit „Wedding Afterparty“ einen klassischen Text des polnischen Kulturerbes vor: das Drama Wesele von Stanisław Wyspiański und interpretiert es aktuell, wobei besonders die innerfamiläre Macht- und Gewaltstruktur einen Fokus einnimmt. Doch Assoziationen rücken an die Stelle der Handlungselemente mit elektronisch wummernder Live-Musik und Ausflügen in volkstümliches Liedgut in all seiner Stumpfsinnigkeit und rassistischen Färbungen.

Der jetzt produzierte Film ist zum einen eine gekürzte Fassung des Bühnenwerks, das zudem um Szenen von Bodytalk ergänzt wurde. Im Fokus steht das Ritual der Hochzeitsfeier. Das PTT bringt mit voller Verve Trink- und Partyspiele auf die Bühne in einer exaltierten Aufgeregtheit, die bei aller Ausgelassenheit vor allem etwas Bedrohliches hat. Alle tragen Trikots mit Gesichtern (und es gibt einen dunkel glitzernden Geist) und nach einer getanzten Einführung zur polnischen Rezeptionsgeschichte des Dramas, finden wir uns mitten wieder in der polnischen Hochzeit. Wodka für alle und Luftballons, die auf den Schößen der Männer von den Frauen zerplatzt werden. Dazu immer wieder Textpassagen mit Beschreibungen von Hochzeitswünschen, Erfahrungen, Projektionen. Ungeschönt kommt auch die toxische Männlichkeit gepaart mit bravem Nationalismus auf die Bühne, wenn die Herren mal unter sich sind. Doch auch in einzelnen Tanzfiguren werden die Macht- und Beziehungszustände zwischen anfänglicher Verliebtheit und gegenseitiger Verachtung immer wieder angedeutet und verhandelt. Hinter dieser angestrengten Fröhlichkeit liegen Abgründe. In dunklen Kleidern schließlich zwei Tänzer, die auch der homosexuellen Erotik einen Raum geben. Dazwischen gibt es kurze Szenen und Beiträge von Bodytalk mit brennenden (Brust-)Haaren, Sensenschwingen und japanischen Masken, die sich in das Spiel des PTT einfügen und die dunkle Ebene hinter der Fassade noch weiter betonen. Die Angst bricht sich Bahn und bevor sie in einem fulminanten Schlussbild alles überflügelt, haben alle noch einmal gruppentherapeutisch die Möglichkeit, ihre persönlichen Ängste zu äußern: das reicht von ganz alltäglichen Sorgen wie Geld für die Miete oder rassistischen Übergriffen über allgemeine Zukunftsperspektiven bis hin zu der Angst, keine Angst zu haben.

Das PTT liefert hier einen sehenswerten Ausschnitt ihres Könnens und ihrer Ästhetik, eindrucksvolle Bilder über kraftvolle Massenperformances, die immer auch mit dem Bruch und den sie umgebenden Texten spielen. Dabei sieht das 1973 gegründete PTT auch positiv in die Zukunft. Am 5. Dezember wird die Kompanie ein neues Domizil beziehen und für den Juni 2021 ist mit Bodytalk die nächste gemeinsame Produktion „Romeo & Julia unplagued / TRAUMSTADT“ geplant.
 

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