„Tu Tu“ von Stanton Welch

Spitzentanz mit Wuchtbrummen

„Beethoven/Ravel“ zeigt Choreografien von Uwe Scholz, Stanton Welch und Mario Schröder

Mit einem opulenten Ballettabend wird das 25-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Houston und Leipzig gefeiert.

Leipzig, 31/10/2018

25 Jahre besteht sie schon, die Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Houston. Grund genug für das Leipziger Ballett dieses Jubiläum in der „Houston Week“ mit einem opulenten Abend zu begehen. Gleich drei Choreografien nämlich gibt es in „Beethoven/Ravel“ zu sehen. Am Samstag war Premiere in der Oper. Vor vollem Saal und begeistertem Publikum.

Ein Abend, der, ganz wie es sich für solch eine Quasi-Silberhochzeit gehört, nicht nur einen Blick auf den Partner – das Houston Ballet – ermöglicht, sondern auch einen zeitlichen Blick zurück. Und vielleicht sogar einen kleinen in die Zukunft. Aber erst einmal hebt sich in „Beethoven/Ravel“ der Vorhang für Vergangenes. Für eine Choreografie von Uwe Scholz (1958-1994), die 1993, also vor 25 Jahren, ihre Leipziger Erstaufführung fand und jetzt aus gegebenem Anlass von Roser Muñoz und Tatjana Thierbach reanimiert wurde, zu Beethovens „Siebenter Sinfonie“ und vor einem zur Kulisse gewordenen Bild des amerikanischen Malers Morris Louis. Zu sehen ist eine Applikation von „Beta Kappa“, es hätte aber auch irgendwas von „Alpha-Pi“ bis „Beta Zeta“ sein können, also eins jener oft nur vage variierenden Werke, die auf dem weiten Feld der sogenannten Farbfeldmalerei wuchsen und im Falle von Morris gern den von schlängelnden Farblinien begrenzten Blick ins Offene eines weißen Nichts lenken. Vor dem dann Scholz, der auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnete, einen Reigen inszenierte, der die Tänzerinnen und Tänzer im steten Fluss aus Harmonie, Eleganz und Gleichmaß zu beweglichen Mustern drapiert. Ganz so, als schüttele Beethovens Musik mal stärker, mal sanfter an einem Kaleidoskop, in dem sich dann wieder und wieder neue hübsche Konstellationen ergeben. Inklusive jener Pirouetten, die die apart dauerlächelnden Tänzerinnen, von ihrem Partner wie Püppchen, wie Skulpturen in Rotation versetzt, possierlich drehen dürfen. Was gerade auch darin mitschwingt, greift dann die zweite Choreografie des Abends auf.

In „Tu Tu“ erforscht Stanton Welch mit seinem Houston Ballet das berühmte Kleidungsstück, das geradezu ikonografisch für eine Kunstform steht, die oft in einer Symbiose aus innovativer Freiheit und musealem Konservatismus, beeindruckender Akkuratesse und dem Manierismus des Kunstgewerblichen changiert. In ihrer Wirkung passend dezent parodistisch wirken da die metallisch-farbig illuminierenden Tutus der Tänzerinnen, die gemeinsam mit ihren in so etwas wie sexy Designer-Badehosen gekleideten Kollegen (Kostüme: Holly Hynes), besagtes Changieren aufs Korn nehmen. Wie psychedelische Ufos fegen die Tutus zu klassischen Ballettfigurationen über die Bühne. In ihrer forcierten Farbgebung und dem subtil überzeichneten Design scheinen sie gleichsam zum Eigenleben erweck. Wirbeln und kreisen, kommen zur Ruhe – und selbst das schönste Pas de deux wird dabei immer zum Solo für die Tänzerin. Tradition als Emanzipation. Das ist, ohne ins Karikierende zu verfallen, pfiffig. Und passt auch darin wunderbar zu Maurice Ravels Klavierkonzert in G-Dur. Zumal, wenn von Gewandhaus-Pianist Wolfgang Manz lässig und doch kraftvoll jene teilweise ja schon Ragtime-haften Akkorde angeschlagen werden, ob denen einem prompt einfällt, dass aus gegebenem Anlass etwas Musik aus der ‚Neuen Welt‘ auch mal ganz schön gewesen wäre. Nicht zuletzt als Geste gen Houston.

Gleichwohl bereitet das Gewandhausorchester (Leitung: Moritz Gnann) einmal mehr schlicht Freude. Was „Beethoven/Ravel“ zu einem Abend macht, der sich gleichermaßen hören und sehen lassen kann. Und das kulminierend tatsächlich im mit „Geschöpfe“ titulierten und von Mario Schröder choreografierten dritten Teil. Denn nach all dem Spitzentanz mit oder ohne Tutu, den schönen Linien gestreckter Beine mit gestreckten Füßchen, die sich in den Gruppenszenen im filigranen Zehenbox-Getrippel ergeben, kurz: Nach all den Darbietungen im Ballett-Body-Maß-Index, folgt hier ein visuell effektvoller Gegenschlag. Für den hat Kostümbildner Paul Zoller das Ensemble per Fat Suits in eine Truppe wahrlicher Wuchtbrummen verwandelt und Schröder zur Musik von Beethoven, Stravinsky und der usbekischen Komponistin Elena Kats-Chernin eine Tanzgroteske von bizarrer Schönheit und einigem Witz geschaffen. Eine, die „Beethoven/Ravel“ auch dramaturgisch klug, nun ja, abrundet. Und das gerade auch im Sinne einer selbstkritischen Reflexion der Kunstform und ihrer Konventionen. Denn allein, wie Schröder hier jene oben schon erwähnten Püppchen-Pirouetten als kreiselnde Korpulenz zitierend aufgreift, hat, neben dem eigentümlich visuellen Reiz, auch die Qualität eines Kommentars. In den freilich mag man hineinlesen, was man will – dass im Laufe der Choreografie aber die tanzenden Nilpferde wortwörtlich aus ihrer Haut fahren (tanzen) und sich somit wieder in die gewohnten Schwäne verwandeln dürfen, ist in jedem Fall eine augenzwinkernde Metapher und ein Statement für das, was diese Kunstform, was Tanz vermag. Und wo Schröders letzte Inszenierung „Schwanensee“ noch wirkte, wie der Versuch das Beste aus einer Pflichtübung zu machen, ist „Geschöpfe“ im besten Sinne von einer geradezu jungenhaft unbekümmerten Freiheit getragen, die man nur allzu gern auch als Versprechen für die Zukunft nimmt.

 

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