Verschiedene Sprachen

Premiere mit drei Uraufführungen beim ballettmainz

Mainz, 29/10/2003

Wo William Forsythes Zeit in Frankfurt sich endgültig dem Ende zuneigt, da steigt wenige Kilometer mainabwärts mit jeder Premiere das Ballettfieber: Martin Schläpfer und sein ballettmainz sind ein wahrer Publikumsschlager und tanzen ständig vor vollem Haus. Mit fünf, sechs Balletten pro Spielzeit ist der 44-jährige Schweizer einer der produktivsten Choreografen an deutschen Ballettkompanien. Sie scheinen nur so aus ihm herauszufließen, diese dichten, intelligenten, nie gesucht wirkenden Kurzballette, diese abstrakten Tanzstücke zu ganz alter oder ganz neuer Musik, die, ob auf Spitze oder in Schläppchen, stets von der rein klassischen Basis ausgehen.

Im „Programm XIII“ umrahmten zwei seiner Uraufführungen ein Werk der Brasilianerin Gisela Rocha. Zu „Shaker Loops“ von John Adams hievt sie in „Auszeit“ eine Phantasmagorie aus Text und Tanz auf die Bühne (von der die Tänzer erstmal lange Packpapierbahnen wegräumen müssen), verbindet die ausufernde, natürlich mehrsprachige Redseligkeit des Tanztheaters mit ungewöhnlich klassisch grundiertem Schrittmaterial, das immer wieder vom einen auf den anderen überzuspringen scheint. Wie rasende Spindeln drehen sich die elf Tänzer immer wieder aufs Publikum zu - das Bild allein beeindruckt weit mehr als jede gewisperte oder geschriene Geschichte.

Schläpfer selbst choreografiert nicht so aufdringlich, sondern arbeitet in seinem ersten Stück eher introvertiert. Zum Adagio aus einer Haydn-Klaviersonate gleitet in „sonata(“ eine Gruppe trauernder Frauen über die Bühne, um deren Köpfe feine schwarze Schleier gewunden sind. Ihre Bewegungen scheinen der Natur entnommen - wie scheue Vögel suchen sie beieinander Schutz, heben den Kopf wie zahme Tiere oder treiben wie Schilf im Wind. Es ist ein leises, zartes, tröstliches Stück, auch in dem folgenden Pas de deux, in dem Igor Mamonov der stützende, Halt gebende Partner der suchenden Kirsty Ross ist. Immer wieder verschwinden das Paar fast in der Dunkelheit, zum Schluss zieht sich sogar die Musik von der Bühne zurück und verklingt irgendwo weiter hinten - die offene Klammer im Titel weist das offene Ende dieses fragilen Balletts.

Was für ein Unterschied im Ton zur abschließenden „Partita Nr. 6“ - vor allem die schwebende, leichte Bewegungssprache der Arme in „sonata(“ schlug eine ganz andere, rätselhaftere Stimmung an als der gewohnt neoklassische Schläpfer-Stil, zu dem er in der eher abstrakten Sammlung von Vignetten und Etüden zum gleichnamigen Klavierstück von Johann Sebastian Bach zurückkehrt. In grün schattierten, schmucklosen Ganzkörpertrikots lässt Schläpfer seine technisch bestens trainierten, ausdrucksstarken Tänzern weiter an der Variation des klassischen Schrittrepertoires arbeiten, an seiner Öffnung, Erweiterung, Neukombination, die in diesem Fall immer wieder von Kinderspielen inspiriert scheint. Wenn er traditionelle Bewegungen anders ausgehen lässt, sie verändert oder bricht, dann wirkt das nicht destruktiv und nicht einmal ironisch, sondern nachdenklich, manchmal fast erstaunt. Wie immer sind diese hochmusikalischen Choreografien interessant und schön anzusehen; und zunehmend verbirgt sich ein Geheimnis in ihnen, das sich nicht auf den ersten Blick offenbart.

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