„Second Body“ von Jeff Chieh-hua Hsieh

„Second Body“ von Jeff Chieh-hua Hsieh

„Second Body“ - Aus der Stille zurück in die Stille

Als Europäische Kulturhauptstadt 2016 präsentierte Wroclaw in Polen das Anarchy Dance Theatre aus Taiwan im Schwarzen Saal des National Forum of Music

Ein geniales Zusammenspiel von Klängen, Bewegungen und Lichtverzauberungen schafft ein Gesamtkunstwerk mit intensiver Nachwirkung.

Wroclaw, 16/05/2016

Mit „Second Body“ bringt der Choreograf Jeff Chieh-hua Hsieh des Anarchy Dance Theatre aus Taiwan den Körper der Tänzerin Shao-ching Hung zum Leuchten bis hin zum Verglühen. Dabei ist nicht auszumachen, ob das Licht aus dem Innern ihres Körpers kommt, oder ob die sensible Durchlässigkeit ihrer Haut das Licht aufnimmt und in verwandelter Form wieder ausstrahlt. Es ist, als würde man den Atem anhalten, um gebannt auch für keinen einzigen Augenblick die Konzentration zu verlieren, um erst wieder nach gut 45 Minuten Luft zu holen und nicht schlecht darüber zu staunen, was man da eben im genialen Zusammenspiel von Klängen, Bewegungen und Lichtverzauberungen erlebt hat.

Wenn sich der Raum verdunkelt, beginnt man zunächst Geräusche wahrzunehmen. Es ist nicht auszumachen, woher sie kommen, ihre Quellen scheinen zu wandern. Das kann durch die Raffinesse des Sounddesigns von Yannick Dauby und Ultra Combos so weit gehen, dass man meint, die Klänge selbst in sich zu haben. Da sie sich von ihren Quellen lösen und im Raum zu wandern beginnen, auch an Atemgeräusche erinnernd, beginnt eine choreografierte Bewegung im inneren Wahrnehmungsbereich der Zuschauer, wobei sich langsam der Raum erhellt und zunächst in Schemen, dann immer deutlicher, die Tänzerin Shao-ching Hung in der Mitte des hell ausgelegten Quadrates, um welches das Publikum an drei Seiten sitzt, sichtbar wird.

In konzentrierter Korrespondenz zur Klangchoreografie nimmt man jetzt den Körper der Tänzerin wahr. Minimale Bewegungen, kleinste Regungen der Fingerspitzen breiten sich aus über die Hände, beziehen die Arme ein und lassen eine Bewegungsdynamik nach und nach den ganzen Körper erfassen. Dabei wird im Spiel mit den Schatten der bewegten Arme und Hände die Tänzerin zur Energiequelle, aus der sich poesievolle Strukturen entwickeln, bei denen ebenso wie zuvor mit denen des Klanges die Fantasie der Zuschauer angedeutete Linien weiter zeichnet und so die Protagonistin in immer stärkerer Konzentration zum Mittelpunkt des ganzen Raumes wird, dessen Grenzen nicht mehr auszumachen sind.

Wenn die Tänzerin sich von der Stelle bewegt, hinterlässt sie geheimnisvolle Spuren aus Licht. Im Lichtdesign der We Do Group werden die Bewegungen stärker und raumgreifender. Einmal ist es, als verwandle sich der Körper in Licht. Dann wieder ist es nicht zu erkennen, ob die geheimnisvollen Strukturen, die einem Stadtplan gleichen oder einem Blick aus der Vogelperspektive auf Grundrisse von Ausgrabungen versunkener Orte und Kulturen auf den Körper projiziert werden, oder aus diesem kommend sich im Raum mit dem Sound vereinen und ausbreiten.

Wenn aus diesem Gewebe aus Licht kreisende Flammen zu schlagen scheinen, die den Körper in die Höhe führen, dann verblüfft diese Kunst der optischen Verführung in hohem Maße. Sie vermag es den menschlichen Körper für Momente den Gesetzten der Schwerkraft zu entreißen, aber auch an einen rituellen Vorgang im Sinne einer Opferung denken lassen können. In immer stärkerem Maße sind durch dieses Zusammenwirken von Raum, Klang, Licht und Bewegung den optischen Fantasien kaum mehr Grenzen gesetzt.

Und wenn dann das Licht erlischt, der Klang verebbt, die Tänzerin ihre Bewegungsintensionen zum Anfang zurückführt und zurückkehrt in die Stille, dann ist man um eine spirituelle Erfahrung kraft der Konzentration und der Fantasie reicher, erschaffen durch diese außergewöhnliche Choreografie eines vergänglichen Gesamtkunstwerkes, dessen Erlebnis von lang anhaltender intensiver und assoziationsreicher Nachwirkung ist.

Nächste Aufführungen: 21. und 22. Mai, Moskau, Polytechnisches Museum im Rahmen des polytechnischen Wissenschaftsfestivals; 17. und 18. Juni, Paris, Rencontres chréografiques internationals de Seine Saint Denis
 

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