„Die 28 Jahreszeiten“

„Die 28 Jahreszeiten“

Britisches Flair in Koblenz

Pick bloggt über einen tollen Ballettabend und das Erbe des Britischen Balletts

Steffen Fuchs präsentiert in seinem Ballettabend „Die 28 Jahreszeiten“ nicht nur seine technisch versierte Kompanie, er zeigt auch ein Stück versteckte Tanztradition.

Koblenz, 16/12/2015

Seit der neue Ballettchef und Choreograf Steffen Fuchs von Anthony Taylor das Regiment in Koblenz übernommen hat, war ich nicht mehr dort im Theater, obwohl es eines der hübschesten klassizistischen ist, die wir haben, aber wie es hinter der Bühne aussieht, wage ich nicht, mir vorzustellen. Nun ist es nicht so, dass ich Steffen nicht gekannt hätte, ich habe ihn in der Übergangsphase vom Tänzer in Leipzig bei Uwe Scholz, nach Graz zu Darrel Toulon vermittelt, ehe er sich entschloss, das Choreografiestudium an der Palucca-Hochschule zu absolvieren. Auch danach sind wir uns noch begegnet in Würzburg, wo er Gasttrainer war und in Gießen, wo er wie alle anderen beim Festival TanzArt Ausschnitte aus seiner Arbeit in Koblenz zeigte. Und ich dachte, das reicht dann auch. Weit gefehlt Herr Rezensent!

Da ist ein starkes Talent herangewachsen und das freut mich umso mehr, weil er seine Tanztechnik an der Berliner Staatlichen gelernt hat, zu Zeiten von Martin Puttke und Fritz Rost und den künstlerischen Goldstaub drüber hat streuen lassen bei den Palucca Erben in Dresden. Das Programm, das ich gesehen habe, mit einer Auftragsmusik von Max Richter, heißt „Die 28 Jahreszeiten“ und es handelt sich dabei um ein Nachtstück vor der Pause und dann ein hellerleuchtetes neoklassisches Ballett zu Max Richters Bearbeitung von Vivaldis Konzerten, gespielt von der Rheinischen Philharmonie. Und dann bleibe ich auch gleich dabei, wie ich mich gefreut habe, dass dieses vierzehnköpfige Ensemble die Spitzenschuhe nicht verbrannt hat, sondern erstaunlich gut mit dieser in anderen Hirnen bereits verwesten Spielart des Tanzes fertig wird.

Während die handwerklich höchst ansprechende Choreografie über die Bühne ging, dachte ich immer wieder, wieso scheint mir das bekannt vorzukommen und nach und nach kam ich dahinter: In Toronto beim Canadian National Ballet hatten wir ein Stück im Repertoire, den Publikumsrenner „Solitaire“ von MacMillan, dass wir, ich weiß nicht wie oft, getanzt haben. Nun ist da sicher keine einzige direkte Übereinstimmung, aber die Atmosphäre und die choreografischen Impulse ließen mich kerzengerade in meinem Suhl sitzen und den wirklich guten Tänzern auf die Füße und sonstige Verschlingungen schauen. Ich habe mich weiter gefragt, wie ist es möglich, dass ein so junger Mann solche verwandtschaftlichen Gene haben kann? Ich glaube, ich bin dann doch dahintergekommen. Obwohl er als Tänzer nie mit Stuttgart in Berührung kam, hat er durch den zehnjährigen Kontakt mit Uwe Scholz, der in der Tradition von Cranko und auch MacMillan aufgewachsen ist, offenbar die Weiterentwicklung des Britischen Balletts ins eigene Fleisch und Blut übernommen.

Wie schon gesagt, das Ensemble ist auf der neoklassischen Seite sehr kompetent und das hat mir fast so viel Spaß gemacht, wie der erste Teil vor der Pause: In einem gekachelten Raum, der ein aufgelassenes Schwimmbad hätte sein können, ein hervorragender Entwurf von Konstanze Grotkopp, mit einer Stufe quer über die Bühne und einer Fensterfront aus Milchglas, verliert sich ein Tänzer/Darsteller zu Anfang in einem Irrlauf. Endlich findet er Zugang zu diesem Feuchtraum und Teilnahme an der fantastischen Geschichte. Sie ist letztendlich keine, und will es auch nicht sein. Vielmehr sind es Traumsequenzen, die keine stimmige Dramaturgie benötigen. Aber das ganze Register von Angst, das Abtasten von Situationen, die kaum erklärbar sind und nicht zu vergessen Figuren, die u. a. eine erotisierende Atmosphäre teilen, wird gezogen.

Das alles gruppiert sich um eine Figur, die aus einer Badewanne auftaucht. Vielleicht so etwas wie Puck im Sommernachtstraum, der in jede Rolle schlüpft und sich an jeder Spielart mit sämtlichen Geschlechtern beteiligt oder deren Auslöser sein möchte. Aber eigentlich kann man die Hintergründe nicht festmachen, muss man auch nicht. Es macht Spaß, seiner Fantasie freien Lauf und sich mitnehmen zu lassen in ungeklärte Verhältnisse. Vielleicht hat auch E. A. Poe Pate gestanden, ohne dass man sich auf ihn, oder auf einen anderen Autor festlegen hätte wollen. Für mich jedenfalls sind diese „28 Jahreszeiten“, zu denen der Komponist durch Postkarten inspiriert wurde, der Höhepunkt der ersten Hälfte der Spielzeit 2015/16.

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