„Goldberg-Variationen“ von J. Robbins. Tanz: Ensemble

„Goldberg-Variationen“ von J. Robbins. Tanz: Ensemble

Neoklassik und Moderne at their best

Das Bayerische Staatsballett zu Gast bei den Hamburger Ballett-Tagen

Mit Jerome Robbins „Goldberg-Variationen“, die erstmals in der Elbestadt zu sehen waren, wie auch mit „Gods and Dogs“ von Jiři Kylián konnte die Münchner Ballettkompanie überzeugen.

Hamburg, 13/06/2013
Es war ein wohlüberlegtes Timing von Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier, nach dem furiosen Auftakt der Jubiläums-Ballett-Tage am 9./10. Juni (siehe hier) gleich eine Kompanie auf die Bühne zu holen, die seit nunmehr 15 Jahren von einem seiner Weggefährten, dem langjährigen früheren Ersten Solisten des Hamburg Ballett, Ivan Liška, geleitet wird: Das Bayerische Staatsballett. Und ebenfalls gut gewählt ist das Programm des Abends: die „Goldberg-Variationen“ von Jerome Robbins (1971 für das New York City Ballet geschaffen) zu den Klavierstücken von Johann Sebastian Bach, und „Gods and Dogs“ von Jiři Kylián (2008 für das Nederlands Dans Theater kreiert) zu Streichquartetten von Ludwig van Beethoven sowie elektronischer Musik von Dirk Haubrich. Mit beiden Stücken werden dem Hamburger Publikum zwei großartige Werke zeitgenössischer Tanzkunst serviert. Neoklassisch vom Feinsten das eine, hypermodern das andere. Beide zusammen, soviel sei schon vorweg gesagt, sind Augenschmaus pur.

Schon in „Dances at a Gathering“ konnten die Hamburger in den vergangenen Jahren die Kunst Jerome Robbins’ bestaunen, Begegnungen verschiedener Tänzer-Gruppen und -Individuen so kunstvoll zu arrangieren, dass sie wie zufällig hingetupft aussehen, aber natürlich minutiös geplant und sorgfältigst komponiert sind. In den „Goldberg-Variationen“, die jetzt in Hamburg erstmals zu sehen waren, wird das erneut und in gesteigertem Maße augenfällig. 40 Jahre lang war das Stück nur beim New York City Ballet zu sehen – erst 2012 überließ es der Jerome Robbins Trust jetzt erstmals einem anderen Ensemble, was vom hohen Niveau des Bayerischen Staatsballetts zeugt. Denn wie alle Robbins-Werke ist auch dieses höllisch schwierig zu tanzen. Diese Schwerelosigkeit in der Choreografie, diese Leichtigkeit der Bewegungen, setzt technische Souveränität ebenso voraus wie ein Höchstmaß an Musikalität und Gefühl für richtiges Timing. Immer wieder aufs Neue verblüfft Robbins mit vielfältigen, präzisen Schrittkombinationen und Formationen (die von oben besonders dekorativ aussehen müssen) sowie mit großartig gestalteten Übergängen zwischen den verschiedenen Variationen.

Die Vielfalt der Bewegungs-Kompositionen, die Robbins hier mal klassisch, mal modern, mal jazzig, mal revueähnlich auf die Bühne bringt, ist einzigartig und fasziniert immer wieder aufs Neue. Deshalb wird das Zuschauen anderthalb Stunden lang nie langweilig oder ermüdend – was auch der wunderbaren Pianistin Elena Mednik zu verdanken ist, die diese schwierigen Klavierstücke ebenso ernst und gesammelt wie verspielt und heiter zu gestalten vermag.

Musik und Tanz paaren sich mit einer raffinierten Lichtregie (Thomas Skelton) und einer amüsanten Steigerung der Kostüme (Joe Eula). Es beginnt mit einem Solisten-Paar in höfischem Barock-Dress, das analog der Musik in einem einfach anmutenden, aber kompliziert aufgebauten Pas de Deux das Thema der Variationen umreißt. In der Folge dominieren dann im ersten Teil überwiegend schlichte Trikots in pudrigen Rosé-, Braun- und Grüntönen bis zu Taubenblau. Erst im zweiten Teil folgen bauschigere Tütüs in Hellblau bei den Frauen, kräftigere Rosé und Fliedertöne sowie weiße Hemden bei den Männern.

Zum Schluss sind alle 32 Tänzer zusammen festlich gewandet auf der Bühne und formieren sich zu einer großen Schlusspose, um sich dann – typisch Robbins, der nie dann aufhört, wenn das Publikum es erwartet! – langsam von der Bühne zurückzuziehen und einem Paar in schlichten schwarzen und weißen Trikots für einen zurückgenommenen, elegischen Schluss-Pas de Deux das Feld zu überlassen. Das ist ein ganz großartiges Gesamt-Arrangement, das man in seinem auf den ersten Blick kaum zu erfassenden Reichtum sofort noch einmal anschauen möchte. Auch deshalb, weil sich die Münchner TänzerInnen – ob Solisten oder Gruppe – mit Verve und vollem Elan in das Geschehen werfen!

Das gilt nicht minder für den zweiten Teil des Abends mit dem hochmodernen Kylián-Stück für jeweils vier Tänzerinnen und Tänzer in blaugrauen Pyjama-Hosen (Männer) und knappen Shirts (Frauen). Schwarz abgehängt ist der Bühnenhintergrund, ganz vorne am Bühnenrand steht eine dicke, weiße Kerze. Licht kommt nur schräge aus den Gassen, sodass die wenigen Tänzer, die mit sparsamen Bewegungen zu elektronischer Musik die Szene eröffnen, große Schatten auf den dunklen Vorhang werfen. Das ändert sich erst, als Beethovens Strichquartett Nr. 1 beginnt, jetzt kommt Licht von oben, und ein Mann, der bisher regungslos vor dem Vorhang verharrte, beginnt zu tanzen.

Über Beamer wird schemenhaft in Schwarz/Weiß ein Wolfshund auf den Vorhang projiziert, erst klein, dann – über mehrere Etappen – immer größer. Währenddessen begegnen sich die acht Tänzer in verschiedenen Kombinationen – einzeln, zu zweit, zu mehreren. Sie umwerben sich und stoßen sich ab, sie verschmelzen miteinander und lösen sich wieder, es ist ein ständiges Kommen und Gehen in allen nur denkbaren Verschränkungen. Die Musik wechselt dabei zwischen klassisch und elektronisch, verwebt sich zu einem schillernden Klangteppich.

Plötzlich hebt sich der schwarze Vorhang und gibt eine Wand aus silbrigen Schnüren frei, durch die die Tänzer jetzt auf- und abtreten. Großartig der Effekt, wenn diese Wand aus beweglichen Fäden plötzlich von oben hin- und herbewegt wird und wellenartige Strukturen entstehen.

Zum Schluss ziehen sich alle Tänzer bis auf einen zurück, er bleibt als einziger übrig und entfaltet ein ebenso katzenhaft-geschmeidiges wie kraftvoll erdverbundenes Solo (großartig: Wlademir Faccioni) – während sich helle Lichtflecken über seinen Körper ausbreiten, bis das Licht völlig verlöscht. Großer Jubel beim Publikum im nahezu ausverkauften Opernhaus.

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