„Cadenza - Die Stadt im Klavier V“ von und mit Yui Kawaguchi und Aki Takase

„Cadenza - Die Stadt im Klavier V“ von und mit Yui Kawaguchi und Aki Takase

Wirbelwind und Tastengewitter

„Cadenza“ von Yui Kawaguchi und Aki Takase

Die beiden Japanerinnen Yui Kawaguchi und Aki Takase setzen im fein aufeinander abgestimmten Zwiegespräch ihre Erfolgsreihe fort.

Berlin, 04/06/2013

Wie verhält sich ein Leichtgewicht von der Statur einer kleinen Tänzerin zu diesem mächtigen Konzertflügel, der in „Cadenza“ unverrückbar in der Mitte der Bühne steht? Yui Kawaguchi zieht mit Leichtigkeit alle Register ihres Könnens. Anders wäre sie dem herausfordernden Klavierspiel von Aki Takase, ebenfalls Japanerin aber fast doppelt so alt wie die Tänzerin, buchstäblich kaum gewachsen.

Seit sechs Jahren entwickeln die beiden ihre Zusammenarbeit unter dem Titel „Die Stadt im Klavier“ und „Cadenza“ ist nun ihr fünfter Streich. War die Annäherung von Tanz und improvisierter Musik anfangs noch von Zurückhaltung geprägt, setzen Takase und Kawaguchi mittlerweile unbeschwert zum Zwiegespräch an.

Während das Publikum in den Saal strömt um die Sitzplätze einzunehmen, stehen die beiden hinter dem, seinen großen schwarzen Flügel entbehrenden, offenen Flügel und unterhalten sich. Die Tänzerin trägt einen Pony, die Pianistin einen tiefschwarzen Kurzhaarschnitt und tiefrot geschminkte Lippen. Das Licht wird gedimmt, Kawaguchi bringt eine metallene Kugel zwischen zwei Holzbahnen ins Rollen und wirft für den Einsatz von Takases Spiel eine rote Jacke in die Luft. Von einer Sekunde auf die andere wird Kawaguchi zu einem wahren Wirbelwind. Sie zeigt sich als schwirrende Ballerina, akrobatisch gewandte Bodenartistin und gewitzte Darstellerin mit einem reichen Fundus an Gesichtsausdrücken. Die flachen Absätze ihrer Schuhe klackern mindestens so munter wie die Finger Takases auf den Klaviertasten – in puncto Körpereinsatz stehen sich die beiden Frauen in nichts nach.

Die körperliche Annäherung der Tänzerin an das zugleich gespielte und statische Instrument wird zwingend. Und so kriecht Kawaguchi unten hindurch, rollt rückwärts in einen Handstand, um sich mit den Füßen von einer Kante des Flügels abzudrücken oder sie versteckt sich und lässt nur ihre Hände in einem Schattenspiel hervorragen. Ein goldener Ball rollt über die Klaviatur, Takase nimmt ihn auf und dreht, den Ball prellend, eine Runde um ihr Instrument.

Spannte Kawaguchi in „Chaconne“, dem Vorgängerstück von „Cadenza“, noch kreuz und quer Fäden durch den Raum und um die Pianistin, zieht sie jetzt zwei Kordeln aus dem Flügel und entschwindet ins Dunkel. Takase spielt ein Solo, in dem sowohl auskomponierte, als auch improvisierte Musik zu hören ist. Genau diese beeindruckende Fähigkeit der Pianistin, den Gedankenfluss oder das Gesehene ad hoc in die eigene Klangsprache zu übertragen, legt einen eigentümlichen Hohlraum zwischen dem Tanz und der Musik offen. Denn schnell wird ersichtlich, dass Kawaguchi sämtliche Bewegungsabläufe festgelegt hat und der Tanz im Augenblick des Geschehens von der musikalischen Improvisation nichts anderes annimmt außer vielleicht eine bestimmte Atmosphäre. Zudem sind die Lichtwechsel etwas plump mit den Anfängen der erklingenden Musikstücke synchronisiert und verstärken so den Eindruck, Kawaguchi habe sich in eine Einbahnstraße begeben und ließe ihren Tanzstilmix lediglich begleiten.

Auf das Abenteuer Liveness im Aufeinandertreffen von Tanz und Musik hat sie sich nicht eingelassen. Umso stärker wirkt die Performance der Jazzpianistin Takase, die, anders als es Ankündigung und Programmzettel verlautbaren, die Tänzerin zu einer Zusammenarbeit anregte und nicht umgekehrt. Die Duo-Projekte sind für die beiden Japanerinnen ein wichtiger Ausgleich zu den ständigen Reisen, die sie für Konzerte und Aufführungen absolvieren. Kawaguchi ist noch bis November mit der Hip-Hop-Show „Red Bull Flying Bach“ auf Tournee, Takase spielt in ganz Europa und in Japan in einer Vielzahl musikalischer Konstellationen.

„Cadenza“ ist daher für beide eine willkommene Konzentration auf einen originären Schaffensprozess, in dem sie japanische Eigenheiten subtil in einen zeitgenössischen Bühnenkontext übertragen. Kawaguchi würde in Japan nicht so sehr mimisch agieren wie hier und Takase sich nicht in dieser Weise von einer Tänzerin zu bestimmten Handlungen drängen lassen. Kawaguchis Vorname Yui bedeutet „Faden“ und außer den beiden Kordeln erscheinen die Fäden nun mit Prints in die Kleider der beiden Frauen eingewirkt.

Der in Berlin lebende Modedesigner Sadak kombiniert die Fadenformationen der Stoffe raffiniert mit asymmetrisch genähten Falten. Takase kleiden sie elegant und unterstreichen ihre Präsenz am Instrument, Kawaguchis Bewegungen verlieren sich manchmal in ihnen. Das Kugelgewitter am Ende, in dem Dutzende Metallkugeln durch mechanische Apparaturen quer über den Flügel und unter ihm durch auf den Boden rollen, trägt dagegen nichts Wesentliches mehr zum Geschehen bei. Es entspricht allenfalls dem Vergnügen an einer Übertreibung des vorherigen Rasens über Tasten und Bühnenboden. Ihrer Spielfreude können die beiden Japanerinnen in „Cadenza“ schließlich freien Lauf lassen.
 

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