Thoss-Tanzkompanie Kiel in Ludwigsburg

Ludwigsburg, 25/01/2001

Es scheint noch nicht ganz zu spät zu sein: Till Kuhnerts Bühnenbild zeigt völlig intakte, angenehm braune Backsteinwände, vor die modische Fassadenteile aus Kunststoff gehängt sind. Aber noch ist die Arbeit nicht beendet, noch könnte alles rückgängig gemacht und zum Guten gewendet werden. Es fällt einem das Stuttgarter Opernhaus ein, dessen Inneres vor gar nicht so langer Zeit aus einer vergleichbaren Lage in seine einstige Schönheit zurück renoviert wurde.

Das anderthalbstündige Tanzstück „Intervalle“, mit dem die Thoss-Tanzkompanie der Bühnen der Landeshauptstadt Kiel im Ludwigsburger Forum gastierte, macht allerdings nicht viel Hoffnung auf eine rechtzeitige Kehrtwende. Stephan Thoss, dessen ungewöhnliche Werke „Les Noces“, „The Time Will“ und „Distanz“ einst das Stuttgarter Repertoire bereicherten, hält sich auch bei dieser Choreografie an sein bewährtes Rezept, ganz genau zu erklären, was er mit ihr sagen will.

Die Menschen, findet er, entfernen sich heutzutage emotional immer mehr voneinander, und sie finden nichts, ja sie suchen nicht einmal danach, mit dem sie die so entstehende Distanz und Leere füllen könnten. Als sich langsam der eiserne Vorhang hebt, werden die reglos stehenden, knapp zwanzig Damen und Herren der Truppe sichtbar, die Thoss in glänzende, futuristische Gewänder gekleidet hat. Zu Streicherklängen von Arvo Pärt beginnen sie sich zu mehreren Gruppen zu formieren, die alsbald wie Eisschollen auf bewegter See über die Bühne gleiten. Kurze Soli werden immer wieder von den Gruppen aufgesogen. Als es mit Bach weitergeht, wird der Tanz zunehmend beschwingter, ja geradezu ausgelassen. Hört die Musik auf, so endet auch der Tanz, und als sei das alles nur eine Probe gewesen, steht man locker beieinander, redet, schaut später den tanzenden Kollegen zu.

Aber wieder erklingt Pärt, die Menschen sondern sich ab, ihre Ensembles verlieren die Harmonie, sind nur noch synchron, die Bewegungen werden eckiger und steifer, da kann auch Bach nichts mehr retten. Wenn am Ende Pärts „Tabula Rasa“ wispernd in die Lautlosigkeit mündet, dann stehen sie, weit voneinander entfernt, mit gesenkten Köpfen und hängenden Armen da, und alles ist aus. Stephan Thoss, an der Dresdner Palucca-Schule ausgebildet, ist wohl gegenwärtig der einzige namhafte Choreograf, dessen künstlerische Sprache fest auf dem deutschen Ausdruckstanz gründet, den er freilich für seine Zwecke erheblich fortentwickelt hat. Das macht dem klassisches Ballett und modernen Tanz gewöhnten Zuschauer das Verständnis offenbar nicht immer leicht.

Thoss‘ gestikulierende Arme, die an Signalgasten erinnern, seine Hände, die sich beinahe um die Köpfe stülpen, die in die Luft stechenden und geworfenen Beine, selten gestreckten Füße und weiten Sprünge lassen, wenigstens beim erstmaligen Sehen, weniger Veränderungen und Entwicklungen erkennen, als das beim „herkömmlichen“ Tanz der Fall ist.

Doch es ist ein eminenter Gewinn, von diesem so ganz anderen Bewegungsvokabular zu lernen, seine Vielfältigkeit und Variationsbreite zu erfahren, schließlich die Klarheit seines Ausdrucks und die beträchtliche Entwicklung, die es in nur achtzig Minuten nehmen kann. Das Ludwigsburger Kulturamt hat mit dieser Einladung wieder einmal wichtige Aufklärungsarbeit geleistet.

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