Ein Stück, das im Gedächtnis tanzt

Olga de Sotos Recherchen zu „Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss

München, 09/08/2012

Hört man „Der grüne Tisch“ denkt man unwillkürlich an das Bild der zehn maskentragenden Männer im Frack – debattierend über Krieg und Frieden an einem grünen Konferenztisch. Es ist das Bild der Anfangsszene von Kurt Jooss' expressionistischem Ballett aus dem Jahr 1932, das damals in Paris Premiere feierte und nun im Rahmen von Tanzfonds Erbe durch Olga de Soto rekonstruiert wird. Doch Rekonstruktion wäre das falsche Wort für die Recherchen der spanischen Choreografin, denn weder die zehn Männer, noch der Tod oder das junge Mädchen sind auf der fast leeren, düsteren Bühne zu sehen und keine Bewegungen, die von der Choreografie Kurt Jooss' stammen könnten. Lediglich einige Musikschnipsel sind im Laufe des Abends zu hören, der angefüllt ist mit unzähligen Interviewausschnitten verschiedenster Zeitzeugen.

Eine alte Stimme ertönt in der Dunkelheit, spricht von ihrem Lieblingsballett und der darin enthaltenen Thematik des Todes. Schemenhaft gerät das Konstrukt aus Seilzügen, Beamern und Leinwänden auf der Bühne in Bewegung. Die sechs in schwarz-weiß gekleideten Tänzer arrangieren Erinnerungen, rücken die Elemente an den rechten Platz, um die Zuschauer an den Gedanken der Interviewten teilhaben zu lassen. Verschiedene Perspektiven und Räume entstehen rund um ein Gedächtnis, das vom einstigen Publikum zum heutigen Publikum übermittelt, nicht von Körpergedächtnis zu Körpergedächtnis Tänzer verschiedener Generationen getragen wird. Die Zeitzeugen erzählen, singen und summen, ahmen Gesten der Vergangenheit nach. Emotionen und Bilder werden lebendig. Beschreibungen, Details und Bruchstückhaftes eines vergangenen Stücks setzen sich im Publikum fest – nur durch das gesprochene Wort.

Es ist nicht das erste Mal, dass Olga de Soto mit der Projektion von dokumentarischem Interviewmaterial arbeitet. Auch bei „Histoire(s)“ von 2004 begab sie sich mithilfe von Zeitzeugen auf eine Spurensuche rund um das Ballett „Le jeune homme et la mort“. Damals kreierte sie lediglich mit Leinwand und einem kurzen Abschlusssolo, einen eindringlichen Abend aus Rückblicken und war damit Vorreiter im reflexiven Umgang mit Rekonstruktionen. Ein Trend, der sich in den letzten Jahren verstärkt in der Tanzszene entwickelte, um Wege zu finden, das immaterielle Erbe Tanz nicht nach traditionellen Mustern des Archivs oder der Repertoirepflege im Ballett zu konservieren, sondern es erneut zu beleben und in heutigen Kontexten zu verorten.

Statt sich also vergangenen Bewegungsabläufen zuzuwenden, widmet sich die Choreografin der Geschichte und Rezeption von Kurt Jooss' grünem Tisch, was von der Thematik der deutschen Nazivergangenheit bis zur heutigen industriellen Kriegsmaschinerie reicht. Und hier liegt das Problem: So viele verschachtelte Ebenen, Gedankenblitze und Assoziationen, die im Laufe des Abends sich immer wieder mal zu wiederholen scheinen, an Intensität verlieren und zusammenhanglos werden. Kurz kann das Spiel mit den Projektionen, in die sich die Tänzerkörper schieben und durch die tragbaren Leinwände eine Art manuellen Zoom auslösen, faszinieren. Sie verbinden sich mit den Erinnernden, überlagern mit ihren Körpern die der Gefilmten und schaffen es zumindest visuell das komplexe Netz aus Kontexten und Erinnerungen zu knüpfen.

Ein Stück, das noch in seiner Entwicklung steckt, an dem weiter gearbeitet wird – so zum Beispiel bei der Lecture Performance vergangenen Freitag oder in dem nach der Aufführung stattfindenden Publikumsgespräch im Rahmen der Tanzwerkstatt – und sich so hoffentlich bald als ein dichtes Erlebnis Erinnerungsarbeit erweist.

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