Das Museum im Kopf

„Bilder einer Ausstellung“ – der neue Ballettabend in Chemnitz

Chemnitz, 05/04/2012

Nein, es ist kein Ballettabend zur Musik von Modest Mussorgsky. Es sind die gemalten Bilder einer Ausstellung, von denen sich die beiden Choreografinnen Catherine Habasque und Natalia Horecna zu ihrem zweiteiligen Abend anregen ließen.
Nein, es ist auch kein getanztes Bildertheater, so dass man vielleicht raten könnte, welches Bild oder welcher Künstler die Anregungen gegeben hätte. Nein, es ist der Zusammenklang von Tanzsequenzen und Musik. Die Impulse sind so ungewöhnlich, dass sie geradewegs in die Bildersammlung des eigenen Bewusstseins führen und der Gang durch das Museum im eigenen Kopf noch lange weiter geht wenn wir das Theater längst verlassen haben.

„Dr. Emmrich 1849“, so der erste Teil des Abends von Catherine Habasque. Sie hat sich von einem romantischen Bild von Friedrich Gottlob Schreiber in der Chemnitzer Sammlung anregen lassen. Die Bilder ihres Tanzes beginnen da, wo der Blick eines jungen Mädchens sich vom Hintergrund der Familie, aus dem Rahmen des Bildes hinaus, weg zu bewegen scheint. Vieles bleibt rätselhaft. Sieht die junge Frau in der Choreografie, die einem kulissenhaften Kleidungsstück entsteigt und ihr Spielzeug zurücklässt, sich selbst in der anderen Frau, die sich in langen Stoffbahnen verhüllt und dann wieder daraus befreit? Sind die schwarz und braun gekleideten Wesen, die immer wieder auftauchen, mitunter sich gnomenhaft bewegen, dann wieder in aufreizend dargestellter Männlichkeit tanzen, eine Verquickung von Wünschen aus Sehnsucht und Angst an der Schwelle zum Erwachsenwerden? In dieser Bildwelt aus Traum und Wunschtraum können Gegenstände wie ein Glas schweben, das zarte Licht einer Kerze die Dunkelheit bannen und vor allem kann alles verlangsamt von statten gehen, als ginge es wirklich, die Zeit anzuhalten. Das wäre die positive Variante, das Gegenteil bedeutet Alptraum, der nicht endet. Die Choreografie von Catherine Habasque, zu so differenzierter wie emotionaler Kammermusik von Bach und Brahms, ist von soghafter Wirkung und führt in das Labyrinth einer Galerie mit Bildfragmenten aus Erinnerungen, Ängsten und Wünschen.

Und über allem waltet Abschiedsstimmung. Dass es dieser Arbeit, die wohl ganz bewusst auf den üblichen Spannungsbogen verzichtet doch nicht an Spannung fehlt, ist nicht zuletzt Verdienst der Tänzerinnen und Tänzer und deren ungebrochener Präsenz selbst bei diffusem Licht in Sequenzen aus Spiegelungen oder bei nur schemenhafter Wahrnehmbarkeit.

„Gloomy Triptik on Pink“, so die zweite Choreografie des Abends. Natalia Horecna bezieht sich auf Eindrücke beim Betrachten des Zyklus „Schwarze Triptychen“ von Francis Bacon und nennt ihr dreiteiliges Stück „Triptychon, düster, auf rosa“. Musikalisch folgen auf den Song „God´s away on business“ von Tom Waits Werke oder Ausschnitte aus solchen von John Cage, Henryk Mikolaj Górecki, Steve Reich, Ryoji Ikeda, Aulis Sallinen und Terry Riley, bis sich der Kreis schließt mit dem dritten Satz „Return (God music)“ aus George Crumbs „Black Angels“.

So gemischt die Musik und deren Anregungen, so gemischt die Stile in dieser Kreation, verbunden scheint alles durch immer wieder kehrende Motive vom unaufhaltsamen Dahingehen der Zeit unter dem rasenden Zeiger einer großen Lebensuhr als sähen wir in die Szenerie eines absurden Films. Das Ganze beginnt mit dem satanischen Lachen eines Tänzers, das ist Lode Devos, Chef der Kompanie selbst, und geht über in einen so wilden, wie abgedreht komischen Tanz bunter Bilderbuchpiraten. Und schon sind wir im Schauhaus, wo Leichen herumliegen, vor denen ein Paar ein faszinierendes Duett aus Gewalt und Zärtlichkeit tanzt. Was eben noch tatsächlich oder nur gefühlt in rosaroten Farben erschien verwandelt sich in bedrohliches Schwarz und wenn die Toten erwachen gibt der Mann der eingangs so satanisch lachte noch eins drauf mit teuflischen Bewegungen. Immer wieder kurze, knappe Soli in Korrespondenzen zur Gruppe, die auch mit schrägen Lautmalereien zu vernehmen ist. Gerade noch geht es wild in artistisch anmutenden Sprüngen der Herren daher, schon waltet beinahe romantisch verklärte Stimmung, wenn eine Tänzerin wie ein schwebender Engel von ihrem Partner so wunderbar zart und behutsam getragen wird.
Auge und Ohr sind gefordert, die Assoziationen der Gedanken kommen dazu, nicht zu vergessen das Staunen über die tänzerische Kraft der gesamten Kompanie in den unterschiedlichen Konstellationen. Das alles führt geradewegs zu den Bildern unserer Ausstellungen in unseren Köpfen. Da sind die Bilder der Komik und der Tragik so nahe beieinander, dass sie nicht mehr scharf zu trennen sind. Und so lässt uns die Choreografin mitunter recht vergnügt in tiefe Abgründe schauen.

 

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