„The Show Must Not Go On“ von Katja Wachter. Tanz: Ensemble

„The Show Must Not Go On“ von Katja Wachter. Tanz: Ensemble

Wie auf Autopilot

Eine Musical-Performance, die kein Musical ist: Katja Wachters „The Show Must Not Go On“

Sie haben etwas ungeschliffen Kantiges an sich, diese eigenwilligen Sing-Sprech-Tanz-Stücke der Münchner Choreografin Katja Wachter.

München, 10/10/2023

Obwohl sie in ihrer professionellen Ausarbeitung durchaus hochgetunt und inhaltlich voller stimmiger Details sind, strahlt das, was als hintergründige Erforschung neuer Blickwinkel auf ein Thema der Zweischneidigkeit von Glamour im Showbusiness in den Bühnenraum modelliert wurde, kreative Probenhaftigkeit aus. So körperlich akribisch genau, so „A Chorus Line“-tauglich auch gespielt und leicht Wiedererkennbares an Bewegungen und Melodien zitiert wird – Wachters jüngster Uraufführung, die prompt mit einer Einspielung basierend auf Interviews mit jungen Musical-Darstellerinnen beginnt und auf diese Weise ohne künstlerische Umwege direkt zum inhaltlichen Kern der Produktion vordringt, haftet noch diese frische Atmosphäre des Unfertigen, bis zum Schluss im Ausgang Offenen an.

Lange schon unterrichtet Katja Wachter zeitgenössischen Tanz und Improvisation. Dabei arbeitet sie als Dozentin insbesondere im Studienfach „Musical“ auch im Ausbildungsprogramm der Bayerischen Theaterakademie August Everding mit. In der notwendigen Verschränkung der Fächer Gesang, Tanz und Schauspiel bekommen Student*innen hier die grundlegenden Fertigkeiten des Berufs „Musicaldarstellerin/Musicaldarsteller“ vermittelt. Und Wachter kennt als Bühnenprofi mit viel Faible und sinnlichem Gespür für die Palette an Schattierungen menschlicher Probleme das Geschäft. Der Arbeitsalltag mit den Studierenden und deren zukünftige Karriereperspektiven bergen insofern zeitkritisch zündenden Stoff zu Genüge. Warum sollte man da anderswo danach suchen?

In ihrem neuesten Wurf „The Show Must Not Go On“ nimmt Wachter daher das Genre „Musical“ kritisch unter die Lupe. Aufrüttelnd gehen ihre vier Interpret*innen Anna Angelini, Wolfram Föppl, Danai Simanti und der Schauspieler-Komponist Hardy Punzel (sie alle waren Studierende der Theaterakademie) der Crux nach, dass man sich aus Leidenschaft für den Beruf immer und immer wieder denselben Devisen einer kräfteverschleißenden Hamsterrad-Branche unterzuordnen hat. Krankheit, Erschöpfung, Überdruss – zieht man nicht mit oder sagt gar einmal ab, droht das Karriere-Aus. Keineswegs abgehoben ist, was hier verhandelt wird. In einer eindringlichen Sequenz konfrontieren drei Performer jeweils eine Seite des im Hufeisen um die Bühne platzierten Publikums mit negativen Erfahrungen. Sie reden – tödlich fürs Verstehen – alle zugleich auf ihr Gegenüber ein. Der Einzelfall geht in dieser Szene in der Masse unter – symbolträchtig für die Misere, die angeprangert werden soll. Dabei dürfen die Interpret*innen es ruhig menscheln lassen oder während einer toll dahingeschmetterten Gesangsnummer mit Kommentaren ihre bedauernswerte Situation reflektieren.

„Ich hätte gern mehr Ruhe am Abend“ wispert Anna Angelini verständnisheischend Richtung Publikum. Eigentlich stolziert sie gerade im Stil einer Diva mit Glitzerfummel die Hüften schwingend und ins Mikro singend übers Parkett. Eine Songzeile später fällt sie sofort erneut aus ihrer Rolle und mokiert sich über den Gedanken, dass kellnern statt auf der Bühne stehen ihr bei weit weniger Stress wesentlich mehr Geld einbrächte. Den letzten Ton ihres Ohrwurm-Titels bleibt sie schuldig. Schließlich müsse sie sich „für die Doppelvorstellung morgen schonen“. Ihr Kollege Wolfram Föppl, der zu Beginn im roten Rüschenkleid flamencoartige Bewegungsmuster aufs Parkett tupft, wurde zuvor im Hinblick auf sein schematisiert getanztes Solo im silberglitzernden Trikot mit der trockenen Bemerkung „wie auf Autopilot“ von der Bühne gefegt. Die Verausgabung eines Tänzers, der agiert als würde er bei einer Audition vergleichbar einer Filmaufnahme per Vor- und Zurückspulfunktion begutachtet, erklärt sich eigentlich von selbst. Mittendrin aber wechselt Wachter diesen ihr Stück vorantreibenden Motor aus. Mit dem bloßen Zugucken ist erstmal Schluss.Als Punzel sein Musikerpult das erste Mal verlässt, tritt er als Moderator eine hartnäckige Befragung der Zuschauer los – über deren aktuell letztes, innovativstes und experimentierfreudigstes Musical-Erlebnis. Geantwortet wird zögerlich. Doch Punzel nutzt die Überrumpelung für eine beispielhafte Improvisationsnummer in Sachen spontaner Schlagfertigkeit. Leuten, die gut können, was sie tun, und trotzdem ganz bewusst mit ihrer vermeintlich eigenen Persönlichkeit über die Rampe kommen, vertraut man im Theater leicht.

In „The Show Must Not Go On“ ist alles Tun auf ein Ziel ausgerichtet. Schrittweise nähert man ihm sich an, um dann irgendwann einfach abrupt durch die kleine Saaltür zu verschwinden, über die man anfangs schon hineingeschlichen war. Auf Teufel komm raus oder bloß schön vor sich hin tanzen – das passt bei Katja Wachter nicht ins Konzept. Trotz Brüchen, Leerstellen und bisweilen einem akustisch verwaschenen verbalen Overflow soll beim Zuschauer eine bestimmte Message anbranden.Dabei werden gedanklich zwei Karten ausgespielt: die der unzeitgemäß in den Plots und bei der finanziellen Honorierung ihrer Leistungen benachteiligten Frauen und die einer generellen Kritik am scheinbar gegen experimentelle Schübe Richtung Zukunft resistenten Genre „Musical“. Das mag gefallen oder nicht. Wachter jedenfalls holt viel Tragikomisches und die Paradoxie künstlerischer Leidenschaft ans Licht. Manchmal fast bissig-verletzt wie eine appetitlose Schlange, die mit gespaltener Zunge weiter nach Beute züngelt.

 

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