SIGNA am Schauspielhaus Hamburg mit „Das 13. Jahr“

SIGNA am Schauspielhaus Hamburg mit „Das 13. Jahr“: Daniela Hoevels, Mareike Wenzel

Wabernde Gestalten

„Das 13. Jahr“ von SIGNA und dem Schauspielhaus Hamburg lädt ins Nebeldorf.

SIGNA präsentiert ihr immersives Theaterstück „Das 13 Jahr“. Der Abend ist auch eine körperliche Erfahrung.

Hamburg, 25/10/2023

Willkommen im Nebel!

Willkommen im Dorf!

Düster liegt es vor einem. Zehn kleine Hütten, spärlich und schäbig eingerichtet, rundherum, wenn man durch den dichten Nebel etwas sehen kann, drohen Bergkämme. Ein Wolf heult und die 40 Gäste, die noch kurz davor eingewiesen wurden, sie seien jetzt 12jährige Kinder, stromern neugierig durch das verlassene Gelände in dieser Hamburger Fabrikhalle, in der SIGNA mit seiner neuesten Produktion „Das 13. Jahr“ in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Hamburg zu Gast ist.

Gast sein, ist dabei das Stichwort, denn auch die Besucher*innen sind hier Gäste, keine Zuschauenden, kein Publikum, sondern Mitspielende. Wobei unklar bleibt, wieviel diese wirklich ausrichten können in dieser offensichtlichen Alptraumwelt, die mit bedrückend und bedrohlich noch zu freundlich beschrieben ist, bleibt offen. Wer SIGNA kennt, weiß dass die Truppe um Signa und Alfred Köstler der aktuelle Gold-Standard des immersiven Theaters ist, das bereits mehrfach zum Theatertreffen eingeladen wurde, zuletzt 2022 mit „Die Ruhe“, ebenfalls eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus. Hier purzelt man jetzt in ein ganzes Dorf und ein Geflecht von Liebe und Hass, Abhängigkeiten, Großmütigkeiten und Heimtücke. Ein Dorf im immerwährenden Nebel, aus dem es keinen Ausweg gibt, so sagen die Bewohner*innen, die einen rasch in Vierer-Gäste-Gruppen in ihre mehr als bescheidenen Hütten holen.

Ab in den Alpdruck, erzeugt durch unverständliche Regeln, die einem zugleich sein 12jähriges Ich nahebringen sollen, das an der Schwelle zum Weltverstehen noch einmal kindlich inne hält. Denn das Ganze wird im prolog als Simulation angekündigt, um seinem eigenen Kindsein auf die Spur zu kommen. Nun denn, in meinem Fall treffe ich auf ein verstörtes Paar und seine 14jährige Tochter, die unsere Vierergruppe durch den Abend führt: zum Spiel mit Puppen bei der Nachbarstochter, zum heimlichen Geisterritual der Dorfjugend, zum Musikabend oder es kommen Gäste. Die fünfeinhalb Stunden, welche die Performance dauert, folgen einer klaren unsichtbaren Partitur, die einen selbst immer mehr in dieses Dorf verstrickt – auch durch die unheimliche Enge und unmittelbare Nähe, die sich ab dem ersten Betreten der Hütte unweigerlich einstellt.

Ein besonderes Augenmerk verdient die unmittelbare Körperlichkeit. Kein Tanz, nein, aber doch ein Gestus des Unterworfenen, Gebrochenen, der die meisten der Dorfbewohner*innen niederdrückt, was durch die schäbigen Klamotten (in die wir Gäste auch schlüpfen, um den giftigen Nebel nicht an uns herankommen zu lassen) nochmals unterstrichen wird. Da schleicht die Hausierin wie eine krumm gebeugte Hexe von Haus zu Haus, wo sie auf der Suche nach bösen Geistern und Kleingeld vorbeischaut. Da huschen die Jugendlichen wie scheue Katzen hinter den Häusern her, immer bereit im Nebel zu verschwinden, um drohenden Repressionen zu entgehen. Selbst das Puppenhaus gruselt mit Lindwürmern und merkwürdig gebrochenen und verwickelten Barbie-Puppen. Gleichzeitig aber gibt es auch die drei, vier großen Dominanten, die mit brachialen Auftritten in nächster Nähe die andere Spitze der Angstpyramide darstellen, wie etwa der Händler, der laut und fordernd den Bewohner*innen noch das Letzte abknüpft gegen ein paar Kartoffeln. Und wenn Schauspielhaus-Ensemblemitglied und Theater-Superstar Josef Ostendorf auf einmal mit seinem massigen Körper in die eigene Hütte poltert und dort schnaubt und wütet, lässt einen das nicht kalt.

Dabei agiert man selbst zwischen Neugier und Selbstentblößung, dem Trieb zum Verstehen nachgebend, mit dem Ziel sein eigenes Erlebnis zu maximieren. Doch gleichzeitig wissend, dass in neun anderen Hütten andere Dramen für andere Gäste stattfinden, von denen man nur einen Hauch wahrnimmt, so dass einem nur das Hier und Jetzt und die zufälligen Zulosungen der Geschichten bleiben.

Die eigene Körperlichkeit passt sich dem Spiel an. Wer dauernd als kleiner Hansel angesprochen und das Lachen verboten wird, der fügt sich oder rebelliert. Geduckt hüpft man mit den anderen Dorfkindern umher oder wird vom Vater und Kuscheltier in der Hand durch die Nachbarschaft geführt. Eine ständige Habachtstellung, die dräuende immerwährende Gefahr, die an die Stimmung von Filmen in totalitären Szenarios erinnert, kriecht in den eigenen Gestus, denn man wird ja selbst zur Performer*in seiner Selbst im Alter von zwölf Jahren.

Diese Verschiebung ist gleichzeitig drückend aber auch lustvoll. Die Entfaltung in der Enge ist das Spielmoment, das hier alle antreibt und für das vorpubertäre Ich ja auch biografisch der letzte Moment dieser Enge vor dem Knall ist.

Immer wieder unterbricht die Simulationsleitung das Spiel, schlägt den Abend in Kapitel und kommt auch einmal selbst vorbei, um das Erleben der Gäste – die ja auf eine Art Selbstfindungstripp geschickt wurden – zu evaluieren und die Simulation nachzusteuern. Die Simulanten setzen dazu ihre Masken auf und verharren wie ausgeschaltete Androiden. Ihr Status bleibt so seltsam offen – also irgendwie nebulös.

Ein dichter Abend, der einen noch einmal anders packt als man es von SIGNA gewohnt ist – aktives Aufgehen in der Situation vorausgesetzt. Wenn man nach fünfeinhalb Stunden diesen lustvollen Alpdruck verlässt, klingt das Nebeldorf und seine unfassbaren Gestalten noch lange nach.

 

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