„Scar City“: Elena Francalanci

„Scar City“: Elena Francalanci

Obszönitäten in Zeitlupe

Tanz Spezial der Schaubühne Lindenfels in Leipzig mit Positionen von Elena Francalanci, Barokthegreat und Anna Natt/ Roni Katz

Schleim, Druck und jede Menge Fingerfertigkeit: ein Triple-Feature mit kurzen Performances von Frauen.

Leipzig, 23/09/2023

Erst stehen sie da wie zwei Bäume, an denen die Besucher*innen beim Einlass vorbei gehen. Nur im Augenwinkel bemerken die meisten die beiden Performerinnen Anna Natt und Roni Katz, die hier mit ihrem „Sublime Slime“ durch den Abend führen werden. In halbwegs hautfarbenen Latex-Anzügen und mit merkwürdigen, blinden Wachsmasken, die Moran Sanderovich insektenartig mit einem Rüsselchen gestaltet hat und die vermutlich nur wenig Licht durchlassen, stehen sie da im Halbdunkel und nur leicht mit dem Kopf zuckend. Das stellt sich zwischen den beiden Bühnenperfomances ganz anders dar. Da liegen sie, angetan mit einer ordentlichen Portion Schleim und ergehen sich, mal übereinander, mal nebeneinander, mal mit weitgeöffneten Schritt in zeitlupenhaft ausgeführten Obszönitäten. Es knirscht und quietscht, aber von den Beiden kommt kein Laut, während sie ihre Körper in Löffelstellung wälzen oder beide hintereinander liegen, wobei der Kopf der einen, die Schulter der anderen berührt. Ein Spiel der Kreaturen und doch voll knisternder Erotik. Entstanden ist die Performance, die jetzt im Rahmen des Tanz Spezial 2023 in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig zu sehen war, als Teil der Reihe „Tanz und Ökologie vernetzen“ für Tanz im August, wo lokale Künstler*innen in Berliner Parks aufgetreten sind. So endet der dritte Teil stehend an einem Baum vor der Schaubühne, wo sich denn auch das Kreatürliche hin zum Menschlichen transformiert, bis zu einem durchaus coolen Abgang der beiden Performerinnen. Eine sehenswerte Intervention, die mit den sehr körperlichen Arbeiten von Doris Uhlich korrespondiert und sowohl in der Form der Kurzintervention – zusammen waren die drei Teile etwa 20 Minuten lang – wie auch als Durational seinen Reiz haben dürfte.

 

Auftritt des Schmerzes

 

Auf der Bühne gibt es dann zweimal Tanz in jeweils zwanzig Minuten langen Quasi-Soli-Formaten zu sehen. Den Start macht Elena Francalanci mit „Scar City“, wobei sie zwar solistisch tanzt, aber von Andrea Bambini am Klavier und Max Michel Thillaye mit Live-Kamera auf einer großen Metallleiter unterstützt wird. Es ist ein Auftritt des Schmerzes, eine Frau unter Druck, die und der sich ein Ventil sucht. Während das Klavier spielt, kommt sie aus der Tiefe der Tribüne, erzählt sie auf Italienisch, tanzt dazu ganz weich sehr zackige Bewegungen. Den Stimmungswechsel bringt der Griff zur E-Gitarre, die zwar benutzt, aber nicht gespielt wird. Dröhnend haut Francalanci auf die Saiten wie bei einer 1980er Punk Performance. Donnerbrausen und Stille. Im Hintergrund flimmert auf großer Leinwand das Live-Bild, das sich bald doppelt, wenn die Tänzerin in einer Mischung aus Boxen und Ballett versucht, den Druck in Energie umzusetzen. Erschöpfungsmomente bis zum erlösenden Besteigen der Leiter. „Scar City“ ist in all seiner Kürze vor allem ein großer Zug zum Wollen, der aber inhaltlich unklar bleibt. Dies mag auch am hohen Sprachanteil gelegen haben, denn ob es hier um etwas ging oder nicht, bleibt dem des Italienisch Unkundingen unklar. Dennoch hat es allen in allem ein paar schöne Ideen.

 

Klonattacke der Fellkugel

 

Eine schöne Idee reicht allerdings manchmal aus, wie „The Attack of the Clone“ von der italienischen Company Barockthegreat zeigt, konzipiert und getanzt von Sonia Brunelli. Wieder spielt Video eine Rolle, diesmal als ultimativer Gegenpart in dieser minimalistischen Fingerübung. Was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Brunelli steht vor einer großen Leinwand, auf die zunächst nur ein schwerer, barocker, goldener Bilderrahmen projiziert wird. Doch bald erscheint darin eine Art Fellkugel und zwei Unterarme. Das nun folgende Bewegungsduell macht den Kern der Klonattacke aus, dazu gibt es einen formidablen Geräusche-Soundtrack aus Tropfen, Quietschen oder Maschinenrhythmen. Die Spannung ergibt sich automatisch aus dem, was man sieht und eben auch nicht sieht. Ist es synchron? Sind das die gleichen Bewegungen? Denn der Unterschied, der sich durch die Perspektiven ergibt und die Wahrnehmung beeinflusst, ist immens. Selbstredend lösen sich beide Ebenen hier und da voneinander, wenn etwa Fäuste aufeinander prallen oder das Maschinengestampfe zu Drehungen einlädt. Das Henne-Ei-Problem aber bleibt den Zuschauenden komplett überlassen, auch wenn natürlich rein technisch das Video vorgängig sein dürfte. Doch Brunelli zeigt in diesem ebenso konzentrierten wie faszinierendem Solo, wie wenig einen großen Effekt erzeugen kann.

Die Schaubühne Lindenfels hat mit diesen drei weiblichen Tanzpositionen einen vielfältigen Start in die aktuelle Spielzeit geliefert und einmal mehr gezeigt, wie kleine Formate auf der großen Bühne in einem der schönsten Theaterräume Leipzigs funktionieren können.

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