„Ophelia’s Got Talent“ von Florentina Holzinger

Geballte Frauenpower

Uraufführung von Doris Uhlichs „Sonne“ am Festspielhaus St. Pölten & „Ophelia‘s Got Talent“ von Florentina Holzinger als Gastspiel am Wiener Volkstheater im Rahmen der Choreographic Platform Austria

Die zwei international renommierten Choreografinnen – Doris Uhlich in „Sonne“ und Florentina Holzinger in „Ophelia’s Got Talent“ – arbeiten mit fast allem was das Medium Theater hergibt. In Wien zeigen sie zwei Arbeiten, die sich mit der Gesellschaft aber auch den Elementen beschäftigen.

Wien, 26/10/2023

Doris Uhlich schwebt vom Bühnenhimmel herab – allerdings nur schemenhaft zu erkennen, denn die Bühne ist bis auf einen pulsierenden Lichtfleck dunkel. Anfangs wie ein Käfer am Boden liegend kommt Uhlich immer mehr in Bewegung und letztendlich auch ins Stehen. Assoziationen zur Entstehung des Lebens kommen auf, denn es geht in der Uraufführung von „Sonne“ um den titelgebenden Stern, der Wärme und Leben spendet, aber auch um die negative, zerstörerische Seite desselben. Ein ballspielendes Mädchen betritt die Bühne: einerseits verkörpert es das unbekümmerte Kind, das in der Sonne spielt – hoffentlich mit hohem Lichtschutzfaktor – andererseits gegen Ende dann ein wütendes Mädchen, das gegen die Klimakrise anschreit. Romy Nagl verkörpert dieses Kind – vielleicht 12 Jahre alt. Man ist beeindruckt mit welcher Selbstsicherheit sie sich auf der großen Bühne bewegt, Kinderlieder singt und Erinnerungen aus Uhlichs Kindheit erzählt.

Zwischendurch liefert Uhlich unter anderem eine Referenz an Ludwig XIV., den Sonnenkönig, setzt Nebel- und Windmaschinen effektvoll ein und treibt mit viel Langsamkeit das Stück doch zu einem furiosen Finale. Uhlich, gegen Ende dann auch nackt, scheint eine Urkraft heraufbeschwören zu wollen und wird in ihren Aktionen immer wilder. Da wird die Sonne dann auch zur zerstörerischen Kraft, der man nicht zu nahe kommen darf. Die Texte, die gesprochen und geschrien werden stammen von Uhlich und Boris Kopeinig, der auch den Sound verantwortet. Juliette Collas hat für das Bühnenbild zwei gebogene Elemente geschaffen, eines ähnelt einer Rampe und wird auch so bespielt, das andere hängt von der Decke. Am Ende des eindringlichen aber nicht leicht verdaulichen Abend ein zweigeteiltes Publikum: manche jubeln, manche verlassen fluchtartig den Theatersaal.

Was Doris Uhlich und Florentina Holzinger verbindet ist die Lust, groß zu arbeiten. Dabei stellen sie auch (den eigenen) Körper aus und konfrontieren so das Publikum mit sehr unterschiedlichen Eindrücken. Holzinger hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht, wurde zum Theatertreffen Berlin eingeladen und füllte im Sommer mit der Geschichte der Elektroharfe in einem überfüllten Zug die Feuilletons. „Ophelia’s Got Talent“ war nun bereits zum zweiten Mal in Wien zu Gast und sorgte für vier ausverkaufte Abende im Volkstheater.

Talentshow mit Hindernissen

Wie der Name schon vermuten lässt, nimmt das Stück Anleihen bei den großen Talentshows. Am Anfang gibt’s es auch noch eine Jury, die die einzelnen Performerinnen begrüßt und ihre Acts, unter anderem eine Aerialnummer sowie eine Schwertschluckerin bewertet. Dann der erste Höhepunkt: eine Houdini-Befreiungsaktion unter Wasser. Doch es gibt Probleme, es funktioniert nicht so, wie es soll. Das Publikum ist kurzfristig geschockt, doch schnell merkt man an der Coolness der Beteiligten, dass alles nur großes Theater ist. Um Schockmomente geht es Holzinger an diesem Abend immer wieder: eine Performerin steckt sich einen Haken in die Wange – groß zu sehen auf Videowänden. Einer Zuschauerin wird ein kleiner Anker auf das Schienbein tätowiert. Dazwischen aber auch unterhaltsame musicalhafte Tanzeinlagen.

Worauf Holzinger hinaus will, ist an diesem Abend, der das Publikum mit vielen Reizen überflutet, nicht ganz klar. Man kann interpretieren, dass sie die Mittel des Theaters und auch die Schaulust des Publikums, denn die Tänzerinnen sind alle die meiste Zeit nackt, in Frage stellt. Der (vermeintliche) Schmerz, der gezeigt wird, kann natürlich auch übertragen werden auf Tänzer*innen, Performer*innen und Hochleistungssportler*innen, die ihre Körper quälen. Dass Holzinger mit viel Wasser auf der Bühne arbeitet – es gibt einen Swimmingpool, einen großen und einen kleinen Kubus, der mit Wasser gefüllt ist – ist in der Performancegeschichte nichts Neues. Man denke nur an Sasha Waltzʼ „Dido & Aeneas“ oder Pina Bauschs „Vollmond“. Auch gewollte (Selbst-)Verletzungen hat man schon zur Genüge auf der Bühne gesehen – unter anderem bei Aktionskünstlerinnen wie Maria Abramovic oder Valie Export. Gegen Ende gibt es einen Hinweis auf die Umweltverschmutzung mit einer Vielzahl von leeren Plastikflaschen, die vom Bühnenhimmel fallen, und eine Mädchengruppe, die die Zukunft symbolisieren sollen.

Beide Produktionen waren im Rahmen der dreitägigen Choreographic Platform Austria (CPA) zu sehen, die zum ersten Mal stattgefunden hat. Dafür haben sich brut Wien, Tanzquartier Wien, Festspielhaus St. Pölten, ImPulsTanz, Osterfestival Tirol und SZENE Salzburg zusammengeschlossen. Es gab eine Vielzahl an Performances, Masterclasses und Pitching Sessions, die einen guten Überblick über das aktuelle Tanz- und Performancegeschehen in Österreich lieferten.

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