DIS-TANZ-START Audition 2022, Dachverband Tanz Deutschland

„Es braucht viel Überzeugungsarbeit“

Johannes Bergmann im Gespräch mit Dagmar Klein

Was hat DIS-TANZ-START (DTS), die Förderinitiative im Rahmen von NEUSTART KULTUR bis heute bewirkt? Und wie kann es weitergehen?

Seit Sommer 2021 leitet Johannes Bergmann beim Dachverband Tanz Deutschland (DTD) das Förderprogramm für Absolvent*innen im Tanz. DIS-TANZ-START (DTS) ist Teil von NEUSTART KULTUR, einer Initiative der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Zuvor arbeitete Bergmann als Tanzdramaturg und persönlicher Referent des Ballettdirektors am Stadttheater Gießen, als Dramaturgie-Assistent für das Tanztheater am Staatstheater Kassel, ebenso als Regieassistent/Spielleiter an weiteren Stadttheatern. Er studierte Theater- und Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Musik- und Tanztheater sowie Management für Kultur und Non-Profit Organisationen.

 

Johannes, du hast mitten in der Corona-Pandemie den Arbeitgeber gewechselt, was durchaus überraschend war. Aber es hatte natürlich mit der Pandemie und dem Lockdown zu tun, der vor allem die Kulturarbeiter*innen betroffen hat. Wie kam es zu deinem Wechsel?

Ich habe den verordneten Stillstand im Kultur- und Kunstbetrieb überhaupt nicht ertragen. Man konnte ja nie einschätzen, wie lange so ein Lockdown geht oder welche alternativen künstlerischen Formate geplant oder durchgeführt werden können. Das war frustrierend … Ich habe dann für das TanzArt ostwest-Netzwerk angefangen, Solo-Selbständige im Rahmen des Förderprogramms DIS-TANZEN vom DTD zu beraten und bei der Antragstellung zu unterstützen. Diese Aufgaben waren in dem Moment sehr bereichernd und sinnstiftend.

Und obwohl ich für das Theater brenne, habe ich mich kurzerhand auf eine Stellenausschreibung beim DTD gemeldet. Womit ich bei meinem Bewerbungsgespräch dann nicht gerechnet hatte, war das unerwartete Angebot, die Projektleitung von DTS zu übernehmen. Nach einer kurzen Bedenkzeit sagte ich zu. Die Mitarbeit versprach mir wieder den Sinn in meiner Arbeit, den ich zu dem Zeitpunkt schon seit einem Jahr nicht mehr so recht finden konnte.

Ich bin Tarek Assam sehr dankbar, dass er mich in diesem Stadium der Pandemie „ziehen ließ“ und mich bei der neuen Aufgabe auch weiterhin unterstützt. Die Premieren der zwei „auf Halde“ gelegenen Produktionen in Gießen konnte ich als Gast noch betreuen.

Was war deine Aufgabe am Beginn des DTS-Projekts?

Ein vergleichbares Förderprogramm wie DTS gab es vorher nicht. Fast alles war neu. In der Hoffnung, dass wir bald den Bewilligungsbescheid bekommen – der Antrag war frisch gestellt -, haben wir im Team zuerst Leitlinien entwickelt, Antragsformulare konzipiert, Vorlagen und Dokumente entworfen und die zweisprachige Website entwickelt. Weitere Mitarbeiter*innen und Expert*innen für die Umsetzung mussten auch gefunden werden.

Leider konnten wir erst Anfang November 2021 das Antragsformular veröffentlichen, weil sich der Abstimmungsprozess im föderalen System verzögerte. Im Vertrauen auf die Förderung hatten nämlich ein paar Ensembles schon seit Beginn der Spielzeit 2021/22 zusätzliche Absolvent*innen aufgenommen. Es war gut, dass der Bewilligungszeitraum im Zuwendungsbescheid auf den 1. Juli 2021 datiert wurde, so dass wir auch die zurückliegenden Monate der Anstellungen fördern konnten.

Welche Ziele hat die DTS-Förderung? Bis wann läuft sie?

Wir ermöglichen berufseinsteigenden Tänzer*innen ein erstes fair bezahltes Fest-Engagement in Tanz- und Ballettensembles, sei es im festen oder freien Bereich. Das funktioniert so, dass wir die Ensembles/Theater dabei mit Geld unterstützen, um diese Engagements für einen Zeitraum von in der Regel 12 Monaten zu gewährleisten. Die Arbeitgeberanteile an den Personalkosten gelten dabei als Eigenleistung (je nachdem zwischen 20 und 25 %). Die Förderung deckt den Rest ab.

Es sei daran erinnert, dass in (Post-) Pandemie-Zeiten die „normale“ Fluktuation, also die üblichen Bewegungen am Arbeitsmarkt für Tänzer*innen, oder auch Projekte in der freien Szene, ausblieben. Damit es zu einer tatsächlichen Förderung der Tänzer*innen kam/kommt, sind wir also auf die Kapazitäten der Ensembles angewiesen.

Als Zweites bieten wir begleitende Weiterbildungs- und Austauschangebote für die Tänzer*innen an, um auf deren spezielle Bedürfnisse zu reagieren und Wissenslücken am Beginn ihrer Karriere zu schließen. Die DTS-Anstellungen müssen wegen des Auslaufens von NEUSTART KULTUR leider spätestens am 31.7.2023 enden; die letzten Zuwendungen können wir sogar nur bis zum 30.6. weiterreichen (was schon eine Verlängerung des ursprünglichen Termins ist). Das Qualifizierungs- und Austauschprogramm setzen wir bis Ende 2023 fort. Das ist der aktuelle Stand.

Welche Anpassungen musstet ihr vornehmen? Was waren die Stolpersteine?

Im Projektteam mussten wir erst mal Routine erlangen im Bereich der formalen Antragsprüfung, bevor wir Verbesserungen etwa bei den Formularen und bei der Abfrage von Nachweisen machen konnten (Stichwort Datenschutz). Schnell haben wir gemerkt, dass wir unseren Anspruch bei der Vermittlungsleistung senken mussten. Empfehlungen, wer zu wem passen könnte, konnten wir beispielsweise nicht aussprechen. Wir bauten stattdessen eine Struktur auf, um die beruflichen Lebensläufe und die Kontaktdaten der Ensembles untereinander zu vermitteln. Wahrscheinlich hat so manch eine registrierte Kompanie eine Menge Bewerbungen erhalten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie aufwendig das Bewerbungsmanagement sein kann.

Welche Probleme habt Ihr konkret angepackt?

Die ins Förderprojekt aufgenommenen Tänzer*innen erhalten Aufführungspraxis im Repertoirebetrieb, können sich orientieren und tänzerisch/künstlerisch weiterentwickeln. Wir haben auch gehört, dass besonders kleinere und mittlere Kompanien durch die zusätzlichen Tänzer*innen gestärkt wurden.

Gibt es schon erste Schlussfolgerungen aus der DTS-Projektförderung?

Ja, wir waren nicht nur am Feedback interessiert; wir haben den Prozess evaluierend begleiten lassen. Dabei ist klar geworden, dass DTS im Bereich professioneller Tanzpraxis eine Lücke schließt. Es macht darauf aufmerksam, wie wichtig die Verzahnung von Tanzausbildung und Berufseinstieg ist. Es gibt in Deutschland keine vergleichbare überregionale Infrastruktur oder Förderprogramme für den tänzerischen Nachwuchs wie etwa im Bereich Musik bei Orchesterakademien oder Opernstudios.

Juniorkompanien gibt es in Deutschland nur in Metropolen und in Nachbarschaft von großen Ensembles. Aber wie können auch kleinere Kompanien Nachwuchsförderung betreiben? Was noch bewusster werden muss, ist die Tatsache, dass Nachwuchstänzer*innen im Ensemble eine wichtige Stütze sind. Wenn eine Kompanie zum Beispiel den Schwerpunkt auf solistische Anforderungen legt, sucht man eben meist Tänzer*innen mit mehr Erfahrung.

Hier setzt DTS an: Es geht 1. um faire Bezahlung für berufseinsteigende Tänzer*innen und 2. um Unterstützung beim Mentoring während dieser besonderen „Transition“.

Ihr hattet eine Verlängerung beantragt. Wie verlief dieser Schritt?

Zusammen mit anderen Verbänden hat der Dachverband Tanz Deutschland seit Anfang 2022 darauf gedrängt, die Corona-Hilfen im Kulturbereich zu verlängern. Die Berücksichtigung der längeren Planungszeiträume im Rahmen von DIS-TANZ-START waren dann sicher ein ausschlaggebendes Argument. Das OK vom Bund für die Verlängerung von NEUSTART KULTUR kam Mitte Mai 2022, erst dann war klar, dass DTS-Anstellungen bis zum Ende der Spielzeit 2022/23 gefördert werden können.

Welche Qualifizierungsmaßnahmen konntet ihr schon anstoßen? Welche sind geplant?

Meine Kollegin Dany Beyer koordiniert das Qualifizierungsprogramm und entwickelt es gemeinsam mit dem Team kontinuierlich weiter. Wir starteten mit reinen Online-Info-Sessions, beschafften eine Online-Plattform zum Vernetzen und wagten uns im Juni 2022 erstmals an einen Präsenzworkshop. Es folgte eine fünftägige Career Week. In 2023 möchten wir gleich mehrere Teilbereiche ausbauen: Workshops zur Vertiefung, Qualifizierung auf Bestellung, Peer-to-Peer-Beratung, eine allgemeine Beratungsstelle, vielleicht eine weitere Career Week und zum Schluss noch eine Toolbox, um den Wissenstransfer nachhaltiger zu gestalten.

Wie war die Resonanz insgesamt? Kannst du einige Beispiele geben?

Letztendlich kann man sagen, dass das Interesse an und die Resonanz auf DTS groß war und ist. Bis Anfang Dezember 2022 haben wir 310 Tänzer*innen registriert, die ein Engagement in Ensembles suchen. Wir nehmen aktuell immer noch neue Tänzer*innen für das Qualifizierungsprogramm auf. 40 Kompanien, über 80 Prozent davon aus dem Stadt- und Staatstheaterbereich, haben ihre Bereitschaft signalisiert mit uns zu kooperieren. 32 von ihnen haben 104 Nachwuchstänzer*innen aufgenommen. Darunter sind kleine und große Ensembles, klassisch oder zeitgenössisch orientierte. Manchmal brauchten sie nur eine zusätzliche Person, andere nahmen bis zu zehn Tänzer*innen.

Bei den Veranstaltungen und Angeboten im Rahmen des Qualifizierungsprogramms kann die Anzahl der Teilnehmenden weiter erhöht werden. Deshalb planen wir in 2023 verstärkt mit den beteiligten Schulen in der Ausbildungskonferenz Tanz (AK|T) kooperieren.

Anderthalb Jahre sind für ein so umfangreiches Projekt wenig Zeit, da man immer in großen Zeiträumen denken und planen muss. Ist in euren Augen alles zum Abschluss gekommen, was ihr euch vorgenommen habt? Welche Fragen und Probleme sind offengeblieben oder klarer geworden?

Es ist ein Prozess. Mit dem Projektteam treffe ich mich monatlich zu sogenannten „Kosmos“-Meetings. Das heißt, wir versuchen uns das Feld, in dem wir agieren, zu vergegenwärtigen und strategischer zu denken. DTS war ja als Überbrückung gedacht in einer Zeit des gesellschaftlichen Stillstands. Davon zeugt auch der etwas sperrige Programmtitel. Aber die Notwendigkeit der Unterstützung von Tänzer*innen beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf, die ist sehr deutlich geworden. Und das Problem bleibt auch nach der Pandemie bestehen, da ja bisher nichts an der Struktur geändert wurde. Daran wollen wir (mit)arbeiten.

Der Zuspruch der Ensembles und die gute Zusammenarbeit mit der Bundesdeutschen Ballett- und Tanztheaterdirektor*innen Konferenz spornt uns an, am Ball zu bleiben. Ich persönlich glaube, dass wir das Konzept, das hinter DTS steckt, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse etwas anpassen müssen. Gleichzeitig verbinden wir damit auch eine Stärkung der Ensembles.

Was plant ihr für die nahe Zukunft?

Für eine kontinuierliche Förderung und den Aufbau einer länderübergreifenden Infrastruktur braucht es viel Überzeugungsarbeit und weitere Unterstützer*innen – nicht zuletzt vonseiten der Tänzer*innen. Vorbilder sind lokale Initiativen und Best-Practice-Modelle, in gewisser Weise auch die Stiftung TANZ – Transition Zentrum Deutschland.

Um das Thema weiter zu diskutieren, soll es im nächsten Herbst ein Forum mit Akteur*innen und Vertreter*innen aus den verschiedenen Bereichen geben. Im Vorhinein werden wir unsere Projektdokumentation und -evaluation zum Download auf der Website veröffentlichen. Ganz aktuell ist eine Expertise zum Programm dort ebenfalls schon erhältlich.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern