"Green Light" von Olaf Schmidt. Tanz: Rhea Gubler, Hugo Prunet

"Green Light" von Olaf Schmidt. Tanz: Rhea Gubler, Hugo Prunet

Spannende Kontraste

Der Tanzabend „Green Light“ beim Ballett Lüneburg wirft einen differenzierten Blick auf das Zeitgeschehen

Zwei Choreografien, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: „Look up and see the skies“ von Tiago Manquinho und „Green Light“ von Olaf Schmidt, der dem Abend auch den Namen gab.

Lüneburg, 08/06/2022

Die Auswirkungen der Corona-Krise haben viele Künstler*innen beschäftigt – auch den Lüneburger Ballettdirektor. Die Isolation in den Lockdowns des ersten Corona-Jahres hatte Olaf Schmidt schon im Oktober 2020 mit „Room“ aufgegriffen (siehe tanznetz vom 16.10.20). Jetzt widmete er sich unter dem Stichwort „Neustart“ den Zukunftsperspektiven und lud den portugiesischen Choreografen Tiago Manquinho ein, ein eigenes Stück zu einem gemeinsamen zweiteiligen Ballettabend beizusteuern. Es wurde ein Abend voller spannender Kontraste.

„Look up and see the skies“ nennt Manquinho seine neue Kreation, was sich durchaus mehrdeutig verstehen lässt. Denn das, was man am Himmel heute sieht, ist ja nicht nur erfreulich – schaut man in Richtung Ukraine, ist das sommerliche Blau durch den Rauch der Bomben- und Raketenexplosionen und brennenden Städte verdüstert. Auf der Bühne wird der Himmel deshalb mit einem großen Stoffsegel symbolisiert, dessen blaue Flecken von viel Grau und Schwarz übermalt sind. Aber Manquinho versteht die Aufforderung, nach oben und die Himmel (der Plural ist beabsichtigt) zu schauen, auch noch ganz anders: „Die Einzahl wäre mir zu eingeschränkt gewesen“, erklärt er in einem im Programmheft abgedruckten Gespräch mit dem Lüneburger Dramaturgen Boris von Poser. „Das ist dann nur der blaue Himmel. Es sollte um die Offenheit gehen. Aufzuschauen und die Möglichkeiten zu erkennen. Die Unendlichkeit der Chancen. Die Menschen, die das Stück anschauen, sollen nach ihrem eigenen Himmel suchen. Was wir schützen und retten wollen, sind doch die gesellschaftlichen Werte, ist die Gemeinschaft.“

Viel Zuversicht strahlt der Tanz auf der Bühne allerdings nicht aus – da überwiegt das Melancholische, Nachdenkliche, Düstere. Die Körper der Tänzer*innen bewegen sich wie in Zeitlupe, oft am Boden, formieren sich zu Skulpturen, die sich nach und nach aus dem Bühnendunkel herausschälen, begleitet von getragener Weltmusik, den Blick wie in Trance in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Gekleidet sind sie überwiegend in Schwarz, Weiß und Grau (Kostüme: Susanne Ellinghaus), nur ein Mann trägt einen brombeerfarbenen Anzug. Jede*r für sich sucht nach einem Weg. Manche finden sich, tun sich zusammen, gehen wieder auseinander. Es ist ein weitgehend tristes Szenario von wehmütiger Poesie, unterbrochen nur von einem kuriosen Streit zwischen zwei Frauen. Die eine regt sich mit undefinierbarem Gebrabbel über irgendetwas fürchterlich auf, während die andere nur mit langgezogenem, staunendem „Aaaaah“ freundlich den Tag begrüßt, was den Brass der Zürnenden nur weiter steigert. Der Schluss zu einem Lied von Antony & The Johnsons ist dann aber doch versöhnlich: „You are my sister, and I love you, may all your dreams come true …“

Eingeflossen in diese Choreografie ist die Arbeit Tiago Manquinhos mit Langzeitarbeitslosen, Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund, die er seit fast 12 Jahren pflegt. „Was mich daran fasziniert“, sagt er in dem schon zitierten Interview, „sind die Geschichten, die in jedem einzelnen Körper stecken.“ Durch diese Erfahrung sehe er „die Tänzer*innen erstmal als Menschen“, er schiebe das Professionelle beiseite, um „dem Menschen Platz zu geben. (…) Wenn wir eine lebendige Kunst haben wollen, die die Gesellschaft reflektiert, brauche ich eine Gruppe von einzelnen sehr unterschiedlichen Menschen, um dann auch ein Kollektiv erzählen zu können.“ Eines der Mittel, die Manquinho dafür anwendet, ist die Kontaktimprovisation, die er selbst lehrt, als „technische Hilfe, um der Persönlichkeit Platz zu geben.“ Und so entwickeln die zehn Lüneburger Tänzer*innen hier einen ganz neuen, eigenwilligen Stil, der ihrem Können viel Raum zur Entfaltung gibt.

Der zweite Teil des Abends bringt mit „Green Light“ von Olaf Schmidt im Gegensatz zu Teil 1 viel Humor und Heiterkeit auf die Bühne. Schmidt orientiert sich dabei an zwei literarischen Vorlagen zum einen an Tennessee Williams‘ „The Loss of a Teardrop Diamond“ (1957), in dem ein reicher junger Mann sich einen Begleiter für eine Party kauft, um nicht mehr so einsam zu sein; zum anderen an dem Roman von F. Scott Fitzgerald „Der große Gatsby“ (1925). Das grüne Licht einer Positionslaterne ist dessen Sehnsuchtsort – dort, am anderen Ufer der Bucht, wohnt seine große Liebe, nach der er sich – vergeblich – zurücksehnt.

Im Flair der „roaring twenties“ sieht Schmidt Parallelen zu heute – damals hatte man den Ersten Weltkrieg und die Pandemie der Spanischen Grippe gerade hinter sich. Die „lost generation“ dieser Zeit ließ es auf zahllosen Partys ordentlich krachen, ähnlich wie sich viele Teens und Twens unserer Zeit nach Corona und angesichts des Krieges in der Ukraine ins Getümmel stürzen, als gäbe es kein Morgen. Mit jedoch durchaus vielversprechenden Zukunftsaussichten, wie eine Aussage des Soziologen und Epidemiologen Nicholas Christakis in der „Neuen Züricher Zeitung“ vom 9. April 2021 unterstreicht, die Schmidts Arbeit ebenfalls beeinflusst hat. Darin heißt es: „Ende 2023, Anfang 2024 beginnt die postpandemische Phase. Das Leben kehrt zu einer Art Normalität zurück. Es könnte sogar so aussehen wie die Roaring Twenties, die Goldenen Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts nach der Spanischen Grippe. Nach der langen Zeit des Eingeschlossenseins werden Menschen sich in das gesellschaftliche Miteinander stürzen: in Nachtklubs, Bars, Restaurants, Theater, Kinos, Sportstadien. Sie werden wieder Geld ausgeben. Während der Pandemie hat sich die Sparquote rasant erhöht, weil die Leute Angst haben. Es könnte einen Boom sondergleichen geben, der Erfindergeist wird sprießen.“

Schmissig und mit viel Drive entwickelt Olaf Schmidt aus dieser Inspiration eine rasante, tempogeladene Revue zu Musik der „goldenen Zwanzigerjahre“: Charleston, Swing und Jazz. Das funkelt und glitzert nur so von choreografischen Einfällen, in Soli und Pas de Deux ebenso wie in den Ensembles. Ein stummer Pas de Deux für zwei Männer (grandios: Phong le Thanh und Vicent Munoz Amo) treibt das angeberische Gegockel auf die Spitze, während die Frauen sich ihre eigene Welt erschaffen und den Mackern eine lange Nase drehen. Kongenial das Bühnenbild dazu von Manuela Müller, die das Bühnenrund mit langen Gazeschals in Grün, Blau und Grau abgehängt hat, hinter denen sich die illustre Gesellschaft in Korbstühlen lümmelt.

Und so bietet gerade diese schmissige Szenenfolge dann doch noch einen optimistischen Ausblick auf die Zukunft. Möge er sich nur bewahrheiten …

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