„Der Zauberberg“ von Olaf Schmidt. Tanz: Claudia Rietschel und Ensemble

„Der Zauberberg“ von Olaf Schmidt. Tanz: Claudia Rietschel und Ensemble

Zu viele Bäume, zu wenig Wald

„Der Zauberberg“ als Tanztheater in Lüneburg

Olaf Schmidt bringt Thomas Manns „Der Zauberberg“ in Lüneburg als Tanztheater heraus. Wie im Buch bleibt vieles verrätselt, aber es wird wunderbar getanzt.

Lüneburg, 20/01/2019

Man kann nur den Hut ziehen vor dem Wagemut, an einer kleinen Bühne ein so großes Thema anzugehen wie „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Aber Lüneburgs Ballettdirektor Olaf Schmidt hat solche Herausforderungen noch nie gescheut, und bisher hat ihm der Erfolg auch immer recht gegeben. Bei „Der Zauberberg“ jedoch, diesem selbst für Thomas-Mann-Fans schwer verdaulichen Wälzer, scheint er sich jetzt doch ein bisschen verhoben zu haben. Zu komplex das Geschehen, zu auseinanderdriftend die Darstellung auf der Bühne.

Wie soll man auch wohl all das Tiefgründige, Philosophische, Weltanschauliche in diesem schon als Taschenbuch über 1000 Seiten umfassenden Schmöker im Tanz auf die Bühne bringen? Wie lassen sich relativ abstrakte Begriffe wie „Zeit“ und „Krankheit“ konkret in Bewegung umsetzen? Wie der Abgesang auf eine Epoche („Der Zauberberg“ entstand als Idee 1912 anlässlich eines Kuraufenthaltes von Katja Mann in Davos, erschien wegen des 1. Weltkriegs aber erst 1924) und der Ausblick auf das Zukünftige, dieses noch ganz junge 20. Jahrhundert und seine Verheißungen? Am einfachsten dazustellen erscheint da noch das Wechselspiel der einzelnen ProtagonistInnen: Hans Castorp selbst, dieser ständig nach Orientierung suchende junge Mann (schön zurückgenommen und doch sehr präsent: Phong Le Thanh); die verführerische und geheimnisvolle Madame Chauchat (großartig: Júlia Cortés); die gebieterisch-strenge Oberin Mylendonck (perfekt: Claudia Rietschel, die auch „die Krankheit“ darstellt, indem sie sich – ein genial einfacher Trick – einen roten Schleier vors Gesicht zieht); der Humanist und Demokrat Lodovico Settembrini (respektgebietend: Wallace Jones) und sein „Gegenspieler“ Leo Naphta, der das Dunkle, Negative, Böse verkörpert (raffiniert und tänzerisch herausstechend: Francesc Marsal); die etwas tumbe Frau Stöhr (Rhea Gubler); der geckenhafte, arrogante Mynheer Peeperkorn (Wout Geers, der ebenso überzeugend den Patienten Herrn Wehsal verkörpert); das liebenswürdige Fräulein Marusja (umwerfend: Gabriela Luque), die heimliche Liebe von Castorps an Tuberkulose erkranktem Cousin Joachim Ziemsen (überzeugend: Pau Pérez Piqué), den zu besuchen Castorp sich überhaupt nach Davos in die Lungenheilstätte auf den Weg gemacht hat.

Überall da, wo es um diese zwischenmenschlichen Beziehungen geht, ist die Choreografie durchaus schlüssig und wird sie überzeugend und mit viel Hingabe getanzt. Wenn es jedoch ums große Ganze geht, bleibt das meiste verrätselt, unverständlich, zusammenhanglos. Olaf Schmidt hat gemeinsam mit dem Dramaturgen und Co-Regisseur Boris von Poser ein Tableau aus etwa 18 Bildern zusammengebaut (genau lässt sich die Zahl nicht benennen, weil die Uraufführung an einigen Stellen von der im Programmheft ausgewiesenen Reihenfolge abwich). Es sind einzelne Sequenzen, in denen sowohl die Befindlichkeiten von Hans Castorp abgehandelt werden wie auch die Eigenheiten und Schrullen der Sanatoriumsbewohner, aber ebenso die großen Fragen der Zeit. Und genau daran krankt die Komposition des Stücks: Es will zu viel auf einmal – vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht mehr.

So reizvoll einzelne Sequenzen aufgebaut sind, so gekonnt die Choreografie komponiert ist, und so perfekt getanzt wird – am Ende bleibt der Zuschauer doch recht ratlos zurück. Da hilft es auch nicht, dass Olaf Schmidt den großartigen Schauspieler Gerry Hungbauer, bekannt aus der in Lüneburg spielenden Telenovela „Rote Rosen“, als Hofrat Behrens in das Stück integriert hat, der Auszüge von Thomas Manns Text wunderbar ausdrucksvoll rezitiert (fragt sich nur, warum ein schauspielerisches Schwergewicht von diesem Kaliber bei einem so kleinen Saal wie dem Theater Lüneburg ein Mikroport braucht). Vor allem im zweiten Teil nach der Pause fliegt das Stück auseinander. Da weiß man nicht mehr, warum Hans Carstorp im Schneesturm Alpträume quälen, warum sich Settembrini und Naphta plötzlich ein hitziges Gefecht liefern, in dessen Folge der 1. Weltkrieg ausbricht und das Ganze im Chaos mündet.

Auch die Musikauswahl erscheint überwiegend schwermütig-dunkel und mindestens so verrätselt wie das Stück selbst: Sie reicht von Sergej Rachmaninow über Gabriel Fauré, Gustav Mahler, Richard Wagner, Franz Schubert, Richard Strauß und Charles Gounod bis zu Philip Glass – die Lüneburger Symphoniker spielen diese vielen verschiedenen Stile sehr einfühlsam, sicher geführt von Ulrich Stöcker am Pult.

Manuela Müller hat ein angenehm schlichtes Bühnenbild entworfen, das eine kühl-sachliche Krankenhausatmosphäre vermittelt, während im Hintergrund beschneite Alpengipfel zu sehen sind. Susanne Ellinghaus steckt Gerry Hungbauer in einen fancy silbrig-schillernden Anzug, während sie den SanatoriumspatientInnen eine fließend-elegante Garderobe und zeitlose Anzüge beschert.

Nicht unerwähnt bleiben darf die großartige Statisterie – das Krankenhauspersonal in schwarzem Gewand und weißer Schürze, das immer wieder wie der Leibhaftige durch die Szenerie geistert. Genial! Bleibt zu wünschen, dass Olaf Schmidt und Boris von Poser hier noch einmal Hand anlegen, um dem Ganzen mehr Halt zu geben. Weniger ist manchmal vielleicht doch mehr.

Weitere Vorstellungen am 25. Januar, 1., 3., 10. und 28. Februar, 10., 13. und 23. März sowie am 14. und 26. April und am 5. Mai 2019. Kartenbestellung unter 04131-42100 oder www.theater-lueneburg.de
 

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