Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Mit „Erste Schritte“ präsentiert die Ballettschule des Hamburg Ballett ihr Können
Schon von Beginn an war die Ballettschule des Hamburg Ballett dafür gedacht, den Nachwuchs für die eigene Kompanie in der entsprechenden Qualität auszubilden. Und tatsächlich rekrutiert John Neumeier immer noch die deutliche Mehrheit seines Ensembles aus dieser schon 1978 gegründeten „Kaderschmiede“, die bekannt ist für ihre hohen Ansprüche, aber eben auch für das hohe Niveau, das sie damit ermöglicht – und das ganz ohne Skandale.
Mit dem alle ein bis zwei Jahre präsentierten Abend „Erste Schritte“ präsentiert die Ballettschule einen Querschnitt ihres Könnens – quer durch alle Klassen hindurch. Und einmal mehr wird deutlich, dass es nicht nur darum geht, eine blitzsaubere Technik zu erlernen, sondern genauso die eigene Persönlichkeit zu zeigen, das ganz Individuelle einer jeden Tänzerin und eines jeden Tänzers.
Am Beginn des Abends stand erst einmal eine tänzerische Solidaritätserklärung für die Ukraine (die Schule bzw. das angeschlossene Internat hat schon vor Wochen einige Schüler*innen von dort aufgenommen): Konstantin Tselikov, selbst aus der Ukraine stammend, Absolvent der Schule und von 2004 bis 2020 Solist des Hamburg Ballett, heute einer der Ballettpädagogen der Schule, hatte einen „Gopak“ choreografiert, einen mitreißenden Volkstanz aus seiner Heimat. Gigi Hyatt, die pädagogische Leiterin und stellvertretende Direktorin der Schule, schrieb dazu im Besetzungszettel: „Wir tanzen, denn wir glauben daran. Wir tanzen, denn wir brauchen es. Wir tanzen, denn wir fühlen es. Wir tanzen, denn wir lieben es. Wir tanzen für jene, die daran glauben, für jene, die es fühlen, für jene, die es brauchen und lieben. Wir tanzen für jene, die leiden und kämpfen. Wir tanzen für jene in der Ukraine.“
Die Theaterklasssen VII und VIII präsentierten diesen Tanz mit großer Leidenschaft, sodass der Beifallssturm des Publikums garantiert war. Selten hat die fast vollbesetzte ehrwürdige Hamburgische Staatsoper so getobt.
Gleich danach durften die 7- bis 10-Jährigen aus den Vorschulklassen zeigen, was sie gelernt hatten, und sie taten das mit so viel Hingabe, dass es eine helle Freude war. Der Grund dafür sind nicht zuletzt die einfühlsamen Choreografien, wiederum von Konstantin Tselikov. Er sorgt dafür, dass das Gezeigte bei aller Liebe für die Formation und Ästhetik auch genügend Raum lässt für den intuitiven Spiel- und Bewegungstrieb der Jüngsten.
In mehreren Auszügen aus den großen Klassikern „Der Nussknacker“, „Dornröschen“, „Schwanensee“ sowie in einer „Haydn Etude“ konnten die Älteren dann demonstrieren, wie lupenrein und sauber ihre Ausbildung ist – nicht zuletzt ein Verdienst der Ballettpädagog*innen, darunter so erfahrene Primaballerinen wie Anna Polikarpova, die selbst in St. Petersburg an der Waganowa-Akademie ausgebildet wurde und diese Technik heute an ihre Schüler*innen weitergibt.
Aber die Schüler*innen der Theaterklassen VII und VIII beherrschen auch den modernen Tanz, was in einem erst im April 2022 uraufgeführten Werk des 29-jährigen Kristian Lever augenfällig wurde. Dessen Verbindung zum Hamburg Ballett kommt nicht von ungefähr: Ausgebildet an der Finnish National Ballett School, der Bolshoi Ballet Academy und der Palucca Hochschule war er von 2015 bis 2017 Mitglied des Bundesjugendballetts und hatte schon dort erste eigene Choreografien gezeigt. Mit „Ruska“ (das finnische Wort steht für ein Naturphänomen in Lappland, das mit der schlagartigen Verfärbung der Laubwälder im September dem Indian Summer in Amerika ähnelt) zu einer Collage aus Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach zeichnet er ein herbstliches Stimmungsbild in schlichten Kostümen in den Herbstfarbtönen Rot, Gelb, Orange und Braun. Hier können die Tänzer*innen zeigen, dass sie nicht nur die große Form beherrschen, sondern auch in Pas de Deux, Pas de Trois und diversen Soli eine ganz eigene Ausdruckskraft entwickeln.
Teil 2 des Abends zeigt dann mit Ausschnitten aus „Beethoven Dances“, den 40 meist sehr kurzen Tänzen zu Musik von Beethoven, von John Neumeier anlässlich des 40. Jubiläums der Ballettschule kreiert, noch einmal einen Querschnitt durch alle Klassen, von den Vorschul- über die Ausbildungs- bis zu den Theaterklassen. Hier können die Kinder und Jugendlichen – ihrem Ausbildungsstand entsprechend – ihr eigenes Profil entwickeln. Für jede Altersklasse ist etwas dabei, und von spielerischen Etuden entwickelt sich das Ganze mit steigendem Schwierigkeitsgrad bis zu einem großen Finale, an dem wiederum alle beteiligt sind. Ins Auge fällt hier Ben van Beelen aus der Theaterklasse VIII, der schon bei den Gruppentänzen mit seiner Präsenz und hohen technischen Präzision auffällt, und als einziger ein Solo zeigen darf. Auf seine weitere künstlerische Entwicklung darf man gespannt sein. Das gilt auch für Anita Ferreira aus der gleichen Klasse. Sie tanzte beim diesjährigen Prix de Lausanne die Kreation ihrer Mitschülerin Milla Loock, die wie schon im Vorjahr der Australier Samuel Winkler, ebenfalls ein Spross der Ballettschule, den renommierten „Young Creation Award“ erringen konnte.
Die insgesamt 150 Schüler*innen können ebenso wie die Pädagog*innen der Schule stolz auf ihre Leistung sein – die Ballettschule des Hamburg Ballett wird auf dieser Basis weiterhin vielversprechende Nachwuchstalente hervorbringen.
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