„Ampelmenschen“ von Maciej Kuźmiński

„Ampelmenschen“ von Maciej Kuźmiński

Ein grotesk vollgestopftes T-Shirt

Bei der siebten Ausgabe der Tanz-Fabrik! stellten Mitglieder des Tanzensembles und Maciej Kuźmiński als Gast Choreografien im Regensburger Velodrom vor

„Tradition“ ist dieses Jahr der thematische Rahmen für einen vielfältigen Abend.

Regensburg, 11/07/2019

Zum siebten Mal wechselten TänzerInnen von Theater Regensburg Tanz die Seite und setzen mit ihren KollegInnen die eigenen choreografischen Ideen um. Auch diesmal haben sich die choreografischen Jungspunde wieder ein gemeinsames Thema gesetzt, das sie aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Dieses Jahr geht es um Traditionen.

„Looouu!“ - Rund 600 Köpfe drehen sich irritiert herum, suchen nach der Quelle des Geschreis. Im abgedunkelten Gang des Velodroms springt plötzlich ein Mann hervor, ruft weiter, flitzt vor der Bühne und zwischen den Zuschauerreihen herum, immer auf der Suche nach der ominösen Lou. Bis zur Choreografie „Staged“, taucht der Schreihals noch einmal kurz auf, bevor besagte Person, die Tänzerin und Choreografin Louisa Poletti den Platz auf der Bühne einnimmt und nun ihrerseits nach „Jonas“ (Jonas Kaufmann) ruft. Die herrlich vergnüglichen Kurzauftritte der beiden ProtagonistInnen von Polettis Tanzstück waren Vorstufen für die eigentliche Performance der beiden. Mit plakativen Aufdrucken auf ihren T-Shirts präsentieren sie sich als Tänzerin und Schauspieler, die der Frage nachgehen „Warum sprechen? Warum tanzen?“. Zunächst mit vertauschten Rollen, bekommt sie – Poletti – schließlich den Mund zugeklebt und Kaufmann reiht in einer endlos langen Aufzählung Gründe aneinander. So originell, witzig und auch tänzerisch wundervoll poetisch diese produktive Reibung beginnt, wird sie gegen Ende etwas langatmig und verliert ein wenig an spritziger Leichtigkeit.

Gleich mit zwei Produktionen ist Simone Elliott bei der „Tanz.Fabrik! Sieben“, dem Abend mit Choreografien des Tanzensembles vom Theater Regensburg vertreten. Mit Wolfsgeheul und wichtigen Techno-Grooves startet das in fahles Licht getauchte „Naked Twirl“, getanzt von fünf Tänzern. Mit Machogehabe werden zunächst geschlechtliche Grenzen gezogen, bevor diese durch Männer in Spitzenunterwäsche und Nachtgewändern mehr und mehr aufgeweicht wird. Ein fließender weißer Morgenmantel wandert von einem zum nächsten und lässt dabei die gesellschaftlich heiß diskutierte Frage nach der Geschlechtszugehörigkeit – mit allen Rollenklischees und Festlegungen – immer nebensächlicher werden. Tänzerisch lässt sich der wandernde Morgenmantel allerdings auch als erobernde Trophäe – der Macht? – interpretieren.

Pygmalion mit seiner Liebe zu einer von ihm geschaffenen Frauenstatue mag bei „A Sacred Glade“ Pate gestanden haben, das Elliott nach einem Konzept von Harumi Takeuchi choreografiert hat. In ihrem mitreißend getanzten Solo durchlebt Takeuchi verschiedene Phasen von Verliebtheit, Zerstörung bis hin zur Verarbeitung der Beziehung zur idealisierten Person im grotesk vollgestopften T-Shirt. Durch die Umkehrung vom Mann, Pygmalion, zur Frau durchzieht ein feministischer Grundton die einprägsame Choreografie. An Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert vom rechteckigen, blockartigen Bühnenbild her „Action at a Distance“ des ungarischen Ensemblemitglieds Péter Daniel Matkaicsek. Zu geräuschhaft an- und abschwellender Musik von Ivan Pavlov entwickeln sich Gruppendynamiken und rätselhafte Einzelaktionen. Zwischen getanzter Zeitlupe und akrobatischer Rasanz sind die Figuren vielfach interpretierbar und im Kern mystisch dunkel. Anders die bieder im Stil der 1960er-Kleinbürgerlichkeit gekleideten „Ampelmenschen“ von Maciej Kuźmiński. Zur parodistisch anmutenden Musik von Richard Wagner und dem ostdeutschen „Sandmännchen“ zeigt er Menschen zunächst in einem autoritären Staat wie der DDR – ein Tänzer an der kurzen Leine (der SED) – und dann in einer scheinbar freieren BRD. Aus verordnetem Jubel im erstarrten Dauergrinsen der Tanzenden wird eine egoistische Konkurrenz um Erfolg und Glück, bei welcher die TänzerInnen quer über die Bühne hetzen. Erfolg unter Dauerstress in gnadenloser Konkurrenz, bis die Welt einstürzt.

In einer Art Publikumsbeschimpfung endet Tiana Lara Hogans Stück „Dissolving Silence“, welches sich aus Unterwerfungen und Dominanzen entwickelt. Wir beschränken uns selbst, nicht nur die Erziehung und Kultur, lautet ihre Botschaft, die nur bedingt nachvollziehbar ist. Ein abstraktes Thema hat sich die japanische Tänzerin Rei Okunishi mit ihrem poetischen Tanzstück „Afterglow“ ausgesucht. Über leichtfüßiger Musik von Franz Liszt („La Campanella“) spürt das Tanzquartett poetisch feinsinnig dem Nachhall von Musik, Wellen und dem verlöschenden Licht eines Sonnenuntergangs nach.
 

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