„Rhythm & Silence von Stephan Herwig
„Rhythm & Silence von Stephan Herwig

Geräuschvolle Stille

Stephan Herwigs „Rhythm & Silence“ im schwere reiter München

In seiner neuen Arbeit erforscht Stephan Herwig das Moment der Stille im Tanz und die dadurch entstehenden Verschiebungen in der Wahrnehmung.

München, 26/11/2019

Es ist natürlich nicht das erste Tanzstück, das weitestgehend ohne Musik auskommt. Selten aber wurde die dadurch erzeugte Stille so ausgestellt und in den Fokus gerückt wie in Stephan Herwigs neuem Tanzstück „Rhythm & Silence“. Die bereits mit dem Stücktitel eingeführte Stille ist Hauptprogrammpunkt und zieht sich als roter Faden durch den gesamten einstündigen Abend.

Die Bühne des schwere reiter in München ist leer bis auf eine herabhängende weiße Wand, die zunächst wie eine Projektionsfläche erscheint, dann aber lediglich dem zwischenzeitlichen Abgang der TänzerInnen dient. Die sterile Schlichtheit bietet dabei die ideale Grundlage für Herwigs Vorhaben: den Tanz und eben das Stillstehen der vier jungen TänzerInnen in den Vordergrund zu stellen. Sie – alle hell, hauptsächlich weiß und sportlich gekleidet – laufen immer wieder gemeinsam von der Unterbühne über die Bühne und grenzen damit die einzelnen Tanzsequenzen voneinander ab. Dabei bleiben einige von ihnen zurück, meist im Paar, und beginnen zu tanzen.

Die Bewegungen sind fließend, gehend durch den ganzen Körper, von den Füßen bis zu den Fingerspitzen. Sie sind sprunghaft, drehend, kreisend und sehr präzise. Immer wieder suchen die TänzerInnen dabei die Nähe des/r Anderen, sind sich gegenseitig zugewandt, gehen kurz Körperkontakt ein, finden aber nie wirklich zusammen. Jede/r bleibt letztlich auf sich und den eigenen Körper fokussiert. Der Tanz steht im Spannungsverhältnis von Höhe und Tiefe, von Schnelligkeit und Langsamkeit und vor allem von Bewegung und Stille, denn regelmäßig halten die TänzerInnen inne, bleiben stehen, verharren in ihrer Pose.

Der weitgehende Verzicht auf Musik etabliert hier ein Moment der Fokusverschiebung auf die reine Körperlichkeit der TänzerInnen. Durch die physische Nähe hört man sie schwer atmen, sieht den Schweiß von ihren Gesichtern tropfen, hört ihre Gelenke knacken. Die gewaltige körperliche Anstrengung wird nicht verschleiert, sondern ausgestellt. Und in genau diesen kleinen Momenten liegt die Schönheit des Abends: so zum Beispiel, wenn zwei der TänzerInnen sich zugewandt und nah aneinander plötzlich stehenbleiben und das schnelle Atmen beider langsam in einem symbiotischen Rhythmus kulminiert. Durch die Stille entsteht eine unverfälschte Intimität, kein Schein, sondern Echtheit. Interessanterweise erscheint dadurch auch die einzige Szene, in der dann tatsächlich Musik in der Form lauter repetitiver industrieller Klängen eingespielt wird, als bedrohlich, fast störend. Die Grenzen von Gewohnheit und Erwartungshaltung werden verschoben.

Die Stille des Abends steht also klar im Vordergrund, der Rhythmus kommt dabei aber ein bisschen zu kurz. Denn in den meisten Sequenzen wirkt die auditive Ebene eher willkürlich. Der Tanz ist nicht etwa darauf ausgelegt, dass durch die Bewegungsgeräusche eine Art rhythmisches Pattern entsteht. Atmung, das Quietschen der Schuhe, der dumpfe Ton des Aufkommens nach Sprüngen kreieren ein wildes Geräuschgemisch. Durch die ohnehin schon etablierte Verschiebung der Seh- und Hörgewohnheiten wäre aber eine Erforschung der rhythmisch-musikalischen Möglichkeiten durch den bloßen Tanz interessant gewesen, so wie es gegen Ende auch kurz angedeutet wird, wenn die vier TänzerInnen in die Knie gehend und springend einen 4/4-Takt entstehen lassen. Der Rhythmus bleibt daher größtenteils Teil der visuellen Ebene, durch den Tanz und die schnellen, harten Lichtwechsel.

So fehlt dem ohnehin schlichten Stück trotz seiner Intimität und Nähe manchmal die Mehrdimensionalität. Die großartigen Leistungen der TänzerInnen und viele ästhetisch schöne Momente garantieren aber dennoch einen anregenden Abend.
 

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