„Liebeslieder Walzer“ von George Balanchine, Tanz: Silvia Azzoni, Alexandre Riabko

Opulent, sinnlich, meisterhaft

Zwei Werke von George Balanchine am Hamburg Ballett

Mit „Liebeslieder Walzer“ und „Brahms-Schoenberg Quartet“ holt Ballettintendant John Neumeier zwei der schönsten Balanchine-Kreationen nach Hamburg. Es ist ein Abend, wie er so wohl noch nie zusammengestellt worden ist.

Hamburg, 11/12/2018

Es ist ein Ballettabend, wie geschaffen für die Advents- und Weihnachtszeit: festlich und opulent für Auge und Ohr. Und es ist ein Abend, wie er so wohl noch nie zusammengestellt worden ist: Die „Liebeslieder Walzer“ – ein intimer Einblick in die Beziehung von vier Paaren, und „Brahms-Schoenberg Quartet“ – vier kurze Kabinettstücke, die keinen Zusammenhang haben und auch jedes für sich stehen könnten. Beide geben den Ersten Solist*innen und dem ganzen Ensemble die Möglichkeit, ihr hohes Niveau ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen.
Denn nicht vielen Kompanien erlaubt der Balanchine Trust, die Werke des großen Meisters aufzuführen. Streng ist das Reglement, für die Einstudierung kommen ehemalige Erste Solist*innen des New York City Ballet ins Haus, um darauf zu achten, dass das Stück originalgetreu aufgeführt und doch auch den neuen Tänzerpersönlichkeiten gerecht wird. Wie immer bei Balanchine ist hier vor allem technische Brillanz gefragt, weniger darstellerische Kunst. „Mister B.“ erzählt keine Geschichten. Er zelebriert reinen, puren Tanz. Und doch erfordert gerade diese schlichte Raffinesse der meisterhaften Choreografie ein Höchstmaß an innerer Konzentration, damit sie ihre Wirkung entfalten kann. Das darf nicht eiskalt serviert werden, sondern muss atmen können, lebendig bleiben, was sich nur erreichen lässt, wenn man jegliches Manieriertsein abwirft und sich ganz der Bewegung hingibt. Die Hamburger Tänzer*innen werden diesem hohen Anspruch fast durchweg aufs Feinste gerecht.
Die „Liebeslieder Walzer“ sieht das Hamburger Publikum nicht zum ersten Mal. Schon vor seiner Intendanz habe das New York City Ballet dieses selten aufgeführte Werk einmal in der Hamburgischen Staatsoper getanzt – und sei ausgebuht worden, erzählt Neumeier bei der Premierenfeier. Das habe allerdings nicht an der Choreografie und auch nicht an den Tänzer*innen gelegen, sondern an den Sänger*innen. Denn gerade die 32 Lieder von Johannes Brahms zu Gedichten von Georg Friedrich Daumer verlangen von den vier Sänger*innen hohe Gesangskunst. Johanna Winkel (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Sebastian Kohlhepp (Tenor) und Benjamin Appl (Bariton) sowie Mariana Popova und Burkhard Kehring am Flügel wurden dem am jetzigen Premierenabend wohl sehr viel besser gerecht – Buhs gab es für sie jedenfalls keine, sondern wohlverdienten, herzlichen Applaus.
Dass die „Liebeslieder Walzer“ jetzt wieder in Hamburg zu sehen sind, hat auch etwas mit diesem Reinfall vor über 45 Jahren zu tun. Seither habe er dieses Stück wieder nach Hamburg zurückholen wollen, sagt Neumeier, „um den Hamburgern die Augen zu öffnen, um was für ein Meisterwerk es sich dabei handelt.“ Für jeden Choreografen sei Balanchines Kreation ein exzellentes Studienobjekt, um zu ergründen, was meisterhafte Choreografie sein kann. Für das Publikum ist es einfach Augenschmaus pur.
Zurück also zum Tanz. „Liebeslieder Walzer“ gliedert sich in zwei Teile – einen eher nach außen orientierten und einen eher nach innen gerichteten. Vier Paare zeigen die verschiedenen Schattierungen der wechselvollen Beziehungen zwischen Mann und Frau. In der schlichten Szenerie (Heinrich Tröger hat hier ein wunderbar zurückhaltendes, neues Bühnenbild entworfen, das sich weitgehend am ursprünglichen orientiert; die Kostüme sind original geblieben und zum Teil Leihgaben des San Francisco Ballet) entfalten vier Paare in Abendkleid und Frack (die Damen in Rokoko-Tanzschuhen) einen Reigen des Mit-, Gegen- und Füreinanders, des Kommens und Gehens, der freundlichen und weniger freundlichen Blicke, der Distanz und Nähe. Die Ersten Solisten Silvia Azzoni und Alexandre Riabko tun das mit so viel stiller, edler Eleganz, dass es nur noch atemlos staunen lässt. Patricia Friza und Carsten Jung zeigen Grandezza und Souveränität vom Feinsten, Sara Ezzell (eine noch ganz junge Gruppentänzerin aus den USA mit hohem Potenzial, von 2016-2018 war sie Mitglied des Bundesjugendballetts und ist seit September im Ensemble des Hamburg Ballett) und Matias Oberlin (der erst im Sommer zum Solisten avancierte) stehen für Leidenschaft und einen Hauch von Schmerz, während Anna Laudere und Edvin Revazov eher das Machtspiel zwischen Herrschen und Beherrschtwerden demonstrieren.
Nach den ersten 18 Gedichten wechselt die Szenerie: Die Bühne wird dunkel, ein Gazevorhang senkt sich herab, und als er sich wieder hebt, erstrahlt im Hintergrund ein tiefblauer Sternenhimmel. Die Tänzerinnen haben sich umgezogen und tragen jetzt duftig-leichte Kleider und Spitzenschuhe. Erneut entfaltet sich ein Kaleidoskop von Einsichten in das Mit- und Gegeneinander von Mann und Frau, wobei es jetzt auch Soli gibt – das Individuelle der einzelnen Charaktere wird stärker betont, weniger das Verbindende, bis vier Zeilen von Johann Wolfgang von Goethe dem ganzen einen Schlusspunkt setzen: „Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern, wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust. Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geschlagen, aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.“
Ganz anders dann nach der Pause „Brahms-Schoenberg Quartet“, das Balanchine 1965 für das New York City Ballet schuf. Jeder der vier Sätze hat eine andere Note: In „Allegro“ versprüht vor allem eine fabelhaft auftanzende Lucia Rios funkelnde Lebensfreude neben acht Tänzerinnen und vier Tänzern aus dem Ensemble sowie den hier etwas blass bleibenden Ersten Solisten Anna Laudere und Edvin Revazov. Xue Lin und Christopher Evans sowie Yaiza Coll, Nako Hiraki und Yun-Su Park tanzen leichtfüßig und anmutig das „Intermezzo“, bis Hélène Bouchet und Sasha Trusch zusammen mit zwölf Tänzerinnen in schwierigen Formationen ein ebenso edel-elegant wie sprunggewaltig getanztes „Andante“ liefern. Zum Abschluss dann das schmissige „Rondo alla Zingarese“ mit einer in den höchst anspruchsvollen schnellen Schrittkombinationen atemberaubend sicheren Madoka Sugai und einem kraftvollen Karen Azatyan, die zusammen mit acht Paaren aus dem Ensemble dem Abend die Krone aufsetzen.
Markus Lehtinen leitete das freudig aufspielende Philharmonische Staatsorchester mit sicherer Hand durch die Untiefen der Brahms’schen Komposition. Ein prachtvoller Abend! Und ein weiterer funkelnder Edelstein im Repertoire des Hamburg Ballett.
 

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