Noch nie – nie wieder
„Farewell!“ - Der allerletzte Auftritt des Kevin O’Day Balletts in Mannheim
Pick bloggt über die Abschiedspremiere von Dominique Dumais und Kevin O'Day im Nationaltheater Mannheim
Kevin O´Day und Dominique Dumais werden mit Ende der Spielzeit Mannheim verlassen, nachdem sie vierzehn Jahre erfolgreich die Ballettdirektion dort innehatten und dem Tanztheater in der Stadt einen Rang erworben haben, der ziemlich einmalig in unserem Land ist. Sie würden mit einer Vertragsverlängerung für das Nationaltheater unkündbar werden und der Kulturausschuss konnte sich damit offenbar nicht abfinden.
Vielleicht haben sie zu viel erreicht in diesen Jahren, indem Kevin für sein Ensemble an Stelle des viel zu kleinen Ballettsaals im Haus ein Probengebäude gesucht und gefunden hat. Nach Ausscheiden der Intendantin, Regula Gerber, die aus Gesundheitsgründen den Posten aufgab, war das Haus längere Zeit ohne Leitung, so dass die Spartenleiter von Oper, Schauspiel und Tanz sich mit dem Verwaltungsdirektor erfolgreich den Posten teilten. So wurden der Tanzbereich und auch das Jugendtheaters Schnawwl neben Musik- und Sprechtheater zu vier Intendanzen. Es ist sicher das kleinste Tanzensemble eines Intendanten in der Bundesrepublik, aber nicht die Masse macht‘s. Eher was die Tänzer an diesem Abend zeigten und durch einmaliges Engagement untermauerten. Jeder der Tänzer ist wie im Schauspiel ein unverwechselbares Individuum und das ist offenbar ganz im Sinne der künstlerischen Leiter. Nur in der Reihe fühlen sie sich etwas unwohl, aber es ist auch sehr schwer, fast unmöglich, wenn eine kleine Tänzerin dieselben Bewegungsfolgen machen soll wie ein Hüne.
Übrigens kenne ich das Nationaltheater mindestens seit 1964, als ich mich orientierte, wo ich mich denn eventuell um ein Engagement bemühen könnte. Zu der Zeit war dort Horst Müller Ballettchef, der von Haus aus Choreograf aus der Folkwang-Richtung war und in Mannheim ähnlich erfolgreich wie Kevin, und den dasselbe Schicksal ereilte, als er nach vierzehn Jahren gehen musste. Und das, obwohl die berühmte Rebekka Harkness mit eigener Company in New York ein Stück mit Originalmusik für das Mannheimer Ensemble in Auftrag gab, sponserte und im rosa Wolkenstore-Abendkleid einflog. Dann allerdings wurde sie nie wiedergesehen. Müller hatte auch eine ähnliche Idee wie Kevin, er machte einen Abend, mit der Jazzband Albert Mangelsdorff, die ab den sechziger Jahren, international Furore machte, was für Deutsche zu der Zeit bei weitem nicht normal war, besonders was Jazz betraf. Von diesem Abend gab es mehrere Fortsetzungen. Die Mannheimer waren dabei aus dem Häuschen. Aber sie mochten auch „La Sylphide“. Das waren Extreme, die zu der Zeit nicht überall zu sehen waren, aber ohne Klassik ging es nicht sich durchzusetzen! – Ich könnte über H. Müller noch mehr und auch über seine Nachfolger in Mannheim erzählen, aber darum geht es ja hier nicht …
Lieber will ich über diesen Abend berichten, dessen Premiere letztes Wochenende im Großen Haus war und der, obwohl er fast dreieinhalb Stunden dauerte, keine Müdigkeit aufkommen ließ. Dieser Abend wurde live durch das Nationaltheaterorchester eröffnet. Das Eis musste „Tracing Isadora“ brechen, deren Spuren D. Dumais mit viel Feingefühl nachgegangen ist und die Company sah so aus, als fühle sie sich in diesem Bewegungsidiom, der Mutter allen modernen Tanzes, wohl. Auch die Männer, obwohl Isadora mit Männertanz nicht viel am Hut hatte, wenn ich nicht irre. Dafür waren ihre Affären mit dem starken Geschlecht umso wichtiger nicht nur in ihrem Leben, sondern auch dem, was sie künstlerisch beschäftigte. Gleich fiel mir Veronika Kornova Cardizzaro auf, eine der ersten Absolventinnen der Akademie des Tanzes unter der Leitung von Birgid Keil. Man kann leicht ausrechnen, dass sie erheblich länger im Ensemble ist als die Choreografin. Und doch hat sie ein fast zu Tränen anrührendes Solo für Zoulfia Choniiazowa erdacht, zum berühmten Adagietto von Mahler, das der Stimmung am meisten entgegenkommt, wie ich mir Isadora Duncans Arbeit vorstelle. Bravo Dominique!
Nach der ersten Pause begann ein stilistisch ganz anderes, starkes Stück von Kevin, von dem ich zwischendurch dachte, wenn er es mit Tänzern der Pariser Oper gemacht hätte, wäre es auf Spitze noch aufregender geworden. Das heißt nicht, dass ich die Spitzenschuhe vermisst hätte bei den beiden, nämlich der schon genannten Veronika und dem so wunderbar intensiven Tyral Larson, der nichts zu wünschen übrig lässt bei „We Will“ zu einer Musik von G. F. Händel. Es ging um die Auseinandersetzung eines Paares oder auch nicht – man kann es sehen wie man will.
Es folgte „Chancons“, wieder ein großes Ensemble-Werk, auch mit herrlichen Soli oder Duetten, die tatsächlich dramaturgisch eingeführt und notwendig scheinen, auch wenn wir ja, wie im ersten Stück nur einen Ausschnitt des Abendfüllers an diesem Abend sahen. Wir wurden von der Vielseitigkeit der Choreografin Dumais überzeugt und natürlich von der der Tänzer, d. h. alle 14 sind fast immer auf der Bühne auch wenn sie zwischendurch geheimnisvoll andere Kostüme an der Bühnenseite anziehen. Das gelingt besonders eindrucksvoll Brian McNeal, der uns dann einmal mehr beweist, dass Männer in Pumps sich mindestens so sexy anbiedern können, wie die Damen der Schöpfung, aber die haben sie schließlich erfunden – aus gutem Grund ...
Nach der folgenden Pause sind wir bei drei Stunden angekommen und es folgt der Rausschmeißer „I‘m with the Music“ von Kevin mit einer Live Band, was ja schon die halbe Miete ist. Und nochmal laufen die Tänzer in dieser Choreografie zu Höchstform auf und man möchte denken, die kriechen nun auf dem Zahnfleisch. Dem ist nicht so, sondern sie zeigen uns wie sie zu dieser Musik von John King tanzen, weil es ein Vergnügen zu sein scheint. Und wenn die Technik nach der Vorstellung nicht irgendwann den Vorhang einfach nicht mehr geöffnet hätte, ständen die dankbaren Besucher heute noch im Zuschauerraum ...
Eigentlich hätte ich auch alle Tänzer hier nennen sollen, aber sie sind in einem schönen Souvenirbuch mit guten Fotos aus den verschiedenen Produktionen abgebildet, das findet sicher auch jeder Fan gut.
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