„La fille mal gardée“; Roman Lazik und Ensemble

„La fille mal gardée“; Roman Lazik und Ensemble

Unübertroffen

Ashtons „La Fille mal gardée“ beim Wiener Staatsballett

Die bis zum letzten Atemzug ausbalancierten Komödie zündet auch fünfundfünzig Jahre nach ihrer Premiere noch. Das Wiener Staatsballett tanzt nun die vierte Einstudierung des Meisterwerks - leider nicht ganz überzeugend.

Wien, 01/12/2015

Müsste man die Liste der wichtigsten abendfüllenden Choreografien des 20. Jahrhunderts erstellen, die, klassisch grundiert, für großes Ensemble geschaffen wurden, so zählte Sir Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ (1960) zweifelsohne dazu. Und würde auf jeden Fall einen der vorderen Plätze einnehmen. In kaum einer Ballettproduktion mag man sich so von kreativen Einfällen einlullen lassen wie in dieser bis zum letzten Atemzug ausbalancierten Komödie, die auf eine spannende Tanztradition verweist und gleichzeitig von britischem Esprit und Meisterschaft im liebevollen Charakterisieren Zeugnis gibt.

Ashton widmete sich in seinem „Übelbehüteten Mädchen“ einem äußerst bruchstückhaft überlieferten Balletttheater, das kurz vor der Französischen Revolution am 1. Juli 1789 vom Noverre-Schüler Jean Dauberval im Großen Theater in Bordeaux herausgekommen war, 1828 in Paris zu seiner eigentlichen Musik nämlich jener von Ferdinand Hérold kam, von Fanny Elssler mitgeprägt wurde, St. Petersburg eroberte und durch die Ballets Russes-Ballerina Tamara Karsawina, die in London ansässig war, Ashton nahe gelegt wurde. Wohl kein Signaturstück politischen Umbruchs verwies „La Fille“ aber immerhin auf die wahre Liebe zweier Jugendlicher auf dem Land und huldigte nicht mehr antiken Vorbildern. Asthons Leistung, die aus einer Zusammenarbeit mit dem Komponisten John Lanchbery, der große Teile der wieder aufgefundenen Partitur bearbeitete und etliche Szenen neu schrieb, und mit dem Ausstatter Osbert Lancaster resultierte, steht heute für eine geglückte Heraufbeschwörung künstlerischer Ahnen der internationalen Ballettgeschichte im britischen Gewand und damit auch für die Seriosität und Beflissenheit mit der sich die englischen Gründerfiguren dem Genre Bühnentanz näherten.

Wenn Frederick Ashtons auch inszenatorisch durchdachte Hommage an die Vorfahren, immerhin musste er wenigstens Karsawinas Blick standhalten, so richtig gut einstudiert ist, und die Wiener Staatsoper hat die dem Stil des Demi-caractère-Tanzes verpflichtete Landliebe seit 1986 in der nunmehr vierten Einstudierung im Repertoire, dann lebt sie von scheinbarer Spontaneität bei präziser Phrasierung, gewitztem Schau-Spiel und brillantem Tanz. Ashton führt das akademische Vokabular erfindungsreich und lyrisch-atmosphärisch weiter, flechtet sein trickreiches Spiel mit Bändern für Solisten und Corps de ballet ein, das an historischen Motiven orientiert ist und immer wieder mit der Form des X auf die englische Abkürzung der Kisses verweist. Mit Verve illustriert er das deftige Landleben, Lise muss da Butter stoßen, am Spinnrad ein Verwirrspiel anfachen, sich phantasievoll pantomimisch über ihre Zukunft auslassen. Aber auch englische Folkdances waren Inspiration, wie etwa der zündende Clogdance für die en travesti getanzte Rolle der Witwe Simone.

In Wien war nun die zuletzt für das Ballett der Pariser Oper tätige Malin Thoors mit der Einstudierung betraut und am Premierenabend der seit 2007 nicht mehr aufgeführten Produktion in der Wiener Staatsoper klappte etliches noch nicht so, wie man es in Erinnerung hat bzw. in den zahlreichen Vorlagen studieren kann. Paul Connelly gab am Pult ein an sich stimmiges rasantes Tempo vor, das die Komödie keine Sekunde stocken ließ. Das gesamte Ensemble hatte da noch seine liebe Mühe, den anspruchsvollen Tanz, der von Anfang an dramatisch erzählend ist, auf den Punkt, in Form und Bedeutung zu bekommen. Am ehesten macht Masayu Kimoto, trotz des verhauten Schlusses, als tölpelhafter Alain den Eindruck des wohl studierten Debütanten. Liudmila Konovalova, die sich seit ihrem Engagement von Berlin nach Wien 2011 stark verbessert hat, wird sich die Rolle der alle Register ziehenden Lise wohl aneignen. Derzeit kämpft auch sie mit dem stimmigen Platzieren der verlangten Mittel. Mitunter gewinnt man den Eindruck, dass während der Einstudierung auf die Bedeutung so mancher gestischer Handlungen aber auch auf tanztechnische Akzente nicht nachhaltig hingewiesen wurde, so als fehlte der Kontext und damit auch das Wissen um Details, etwa im Elßler-Pas de deux. Robert Gabdullin, seit 2013 beim Wiener Staatsballett, macht als Colas zwar keine schlechte Figur, als erste Besetzung in der Rolle des bravourösen Liebhabers mit Charme und Aplomb überzeugt er aber noch nicht. Viel Applaus erhielten Roman Lazik als Witwe Simone, deren Clogs noch selten so zitronengelb waren, sowie Gabor Oberegger als Weinbauer Thomas und naturgemäß die Schar der Hennen samt Hahn (Marian Furnica).

Insgesamt vier weiteren, alternierenden Besetzungen gibt Ballettchef Manuel Legris Gelegenheit, Ashtons Meisterwerk tanzend zu verstehen. Nach der Wiederaufnahme des Nurejewschen „Don Quixote“, erstmals mit Olga Esina als Kitri, zu Beginn der Saison und einem höchst inkongruent zusammengestellten Abend mit einem Ausschnitt aus Stephan Thoss’ „Blaubarts Geheimnis“, Christopher Wheeldons Fingerübung „Fool’s Paradise“ und Jerome Robbins’ in diesem Zusammenhang unpassenden „Four Seasons“ mutet Ashton nun wie eine treffsichere Programmwahl an. Indessen wird an der Volksoper, die ebenfalls vom Staatsballett bespielt wird, Michael Corders „Schneekönigin“ mit Esina geprobt, die Wiederaufnahme des glanzvollen Neumeier-Abends „Verklungene Feste“/„Josephs Legende“ steht zu Jahresbeginn bevor und drei Abende sind demnächst „Jungen Talenten“ gewidmet.

Einfach macht es sich Manuel Legris nicht, dessen Vertrag als Ballettdirektor kürzlich bis 2020 verlängert wurde. Veritable große geglückte Uraufführungen gab es in den ersten fünf Saisonen nicht, wohl aber viele Bemühungen ein breites Repertoire für ein herausforderungswilliges Ensemble zu schaffen, das von Lightfoot/Léon und Ekman bis Lifar, Lander, Nurejew und Eifman reicht. Mitunter mutet das alles in seiner Dichte und Intensität auch recht viel an. Legris aber handelt da, wie er der Autorin im Gespräch vermittelte, ähnlich wie sein Lehrmeister Nurejew. Sinngemäß: „Tanzen lernst Du nur auf der Bühne, und das kann nicht oft genug sein.“ Im Frühjahr 2016 bringt Legris dann seine Version des „Corsaire“ auf die Bühne.

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